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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Bezirksbossen nie feierlich ins Amt berufen. Also übte er seine Vormachtstellung zwar
de facto
aus, aber nicht
de iure
, und galt nur deshalb als Oberboss, weil er mit Riina gleichsam ›identisch‹ war.«
    In anderen Worten, der »Traktor« war der erste unter Gleichen, kein Boss der Bosse. Er konnte allenfalls Ratschläge erteilen, aber keine Befehle. Am Ende würden Ratschläge allein nicht genügen, um die Führung der Cosa Nostra zu retten – weder vor den hartnäckigen Spaltungstendenzen innerhalb der Organisation noch vor den Mafiajägern.
    Der erste, der aus Provenzanos innerem Zirkel festgenommen wurde, war seine Nummer zwei, Pietro Aglieri, der Boss von Santa Maria di Gesù. Aglieris Geschichte offenbarte noch mehr über die seltsame Welt der Cosa Nostra, insbesondere über die religiösen Überzeugungen der Mafiosi, die ihnen klassischerweise dabei halfen, die wahre Natur ihrer Macht zu bemänteln. In seiner Jugend hatte Aglieri in einem Priesterseminar Theologie studiert. Ermittler spürten ihn auf, indem sie einen Karmeliter-Priester verfolgten, Pater Mario Frittitta. (Er hatte beim Begräbnis des Fußballers und Fischers, der vermutlich als Beobachtungsposten der Mafia fungiert hatte, als 1985 der Polizist Beppe Montana getötet worden war, die Predigt gehalten.) Pater Frittitta war, wie sich herausstellte, Aglieris Beichtvater. Im Gehöft, das dem Boss als Unterschlupf diente, befand sich neben dem üblichen Gangster-Instrumentarium – beispielsweise Waffen und ein Funkgerät, das es Aglieri ermöglichte, den Polizeifunk mitzuhören – eine vollständige Kapelle mit einem Altar, einem Kruzifix, Weihrauchkessel, Kirchenstühlen und Kissen, auf denen man während des Gebets kniete.
    War Aglieris Glaube echt? Letztlich kann nur der liebe Gott selbst uns diese Frage beantworten. Woran Aglieri glaubte, war eindeutig eine verzerrte Version des Christentums, die er irgendwie mit seiner Berufung als Profiverbrecher in Einklang brachte. Er fand darin wohl eine Art Rechtfertigung für das Böse, das er tat.
    Wirklich sicher an Aglieris Religiosität ist die Tatsache, dass sie ihm in dieser Phase der Geschichte der Cosa Nostra strategisch nützlich war. Aglieri suchte wie sein Mentor Provenzano nach Wegen, wie sich der Schaden am Image der Cosa Nostra beheben ließ, der durch die Morde an Falcone und Borsellino und durch die längst fällige Verurteilung der Mafiakultur durch den Papst entstanden war. Religiöse Äußerungen – von Demut und Frömmigkeit – konnten den Bossen möglicherweise helfen, die Verbindungen zu den Mitgliedern und Freunden der Organisation zu kitten, die aufgrund von Vorfällen wie dem grausamen Mord an dem jungen Giuseppe Di Matteo abgerissen waren. Die maschinegeschriebenen Notizen, mit denen Provenzano mit anderen Bossen und mit Geschäftsfreunden korrespondierte, strotzen geradezu von religiösen Phrasen: »Gott sei Lob und Dank«, »So Gott will, stehe ich Ihnen ganz zur Verfügung«. Provenzanos Sprache, ob sie nun echte Frömmigkeit ausdrückte oder nicht, ließ zumindest einen politischen Stil erkennen, der sich von dem seines alten Freundes Riina deutlich unterschied.
    Im Frühling des Jahres 2000 gehörte der »fromme« Boss Pietro Aglieri – mittlerweile im Gefängnis – zu einer Gruppe aus dem Provenzano-Flügel der Cosa Nostra, die plante, sich von der Organisation zu lösen. Sie wollten ihre Verbrechen gestehen und der Mafia abschwören, ohne sich jedoch als Kronzeugen zur Verfügung zu stellen und ihre ehemaligen Waffenbrüder zu verpfeifen. Kurzum, Aglieri und seine Verbündeten wollten vor Gott bereuen, aber nicht vor dem Staat.
    Da die sizilianische Mafia nun einmal war, was sie war, gab es auch Bedingungen: Ein Ausstieg komme nur in Frage, wenn die Haftbedingungen gelockert und ein Teil der neuen Antimafia-Gesetze wieder außer Kraft gesetzt würden. Schon bald wurde deutlich, dass auch Mitglieder der ’Ndrangheta und Camorra einen solchen Handel unterstützten. Das Leben hinter Gittern hatte bewirkt, dass einige der meistgefürchteten Gangsterbosse Süditaliens den Schulterschluss übten.
    Ermittlungsrichter erkannten sofort, dass der Staat einen schlechten Handel einginge, wenn er die »Ausstiegsbedingungen« akzeptierte. Zudem hatten sie den Verdacht, dass sie Teil eines Plans waren, eines Friedensabkommens zwischen dem Staat und der Cosa Nostra, das die Cosa Nostra intakt ließe und ihr den Weg ebnete für eine Rückkehr zur klassischen Partnerschaft

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