Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
organisieren – die Koordinationsstruktur durchzusetzen, mit der die Cosa Nostra am besten funktioniert: »eine Kommission, die sich mit den ernsten Problemen und Situationen befasst. Auf diese Weise bleiben wir allesamt Freunde«, wie ein
capo
erklärte.
»Wenn ein jeder sein eigenes Ding macht, wie die Neapolitaner (…) wenn wir es halten wie sie, kommen wir nicht weiter (…) Stattdessen übernimmt jeder seinen Bezirk, und dann finden wir eine hübsche Lösung. Und am Ende setzen wir uns zusammen und bilden eine Art Kommission wie früher.«
Eine
Art
Kommission: Die zögerliche Formulierung ist frappierend. Die Männer, die diese neue Verfassungsinitiative anvisierten, waren zweifellos die mächtigsten Mafiosi in Palermo. Doch nicht einmal jetzt, 15 Jahre nach Riinas Verhaftung, fühlten sie sich politisch ermächtigt, die
offizielle
Kommission wiederherzustellen. Der »Kurze« warf einen sehr langen Schatten auf die inneren Angelegenheiten der Cosa Nostra.
Die
Art
von Kommission kam gar nicht erst zustande. Am 16 . Dezember 2008 , nach beinahe neun Monaten gewissenhafter Ermittlungsarbeit, stürmten etwa 1200 Carabinieri im Morgengrauen viele Dutzend Adressen in Palermo und im gesamten Westen Siziliens und führten koordinierte Razzien durch. Operation Perseus (nach dem Helden der griechischen Mythologie, der dem schlangenhaarigen Ungeheuer Medusa das Haupt abschlug) hieß der Einsatz, dessen Ziel es war, der Cosa Nostra das Haupt abzuschlagen. Unter den 29 festgenommenen Männern waren die Bosse von 19 Familien. Ihre Reviere – Santa Maria di Gesù, Monreale, Corleone, Uditore und San Lorenzo – tauchen in der langen Geschichte der Organisation immer wieder auf. Ebenfalls festgenommen wurden nicht weniger als elf Bezirksbosse – Männer, die über drei oder vier Familien das Sagen hatten und deren Interessen in der Kommission vertraten. Und natürlich wurde auch der gewählte
capo dei capi
festgenommen: der 64 -jährige Benedetto Capizzi. Die Wahl Capizzis besagte, dass die Cosa Nostra, nachdem sie unter Provenzano »mit wattierten Schuhen« gelaufen war, sich wieder die Nagelschuhe angezogen hatte. Capizzi war ein ehemaliges Mitglied in Giovanni Bruscas Killerkommando und hatte unter anderem bei der Planung von Giuseppe Di Matteos Entführung geholfen. Capizzi war ein Mann der Tat, der verlässlich jeden beseitigte, der von der neuen Ordnung abwich. Ein kleiner Haken war nur, dass er eine lebenslange Haftstrafe verbüßte. Allerdings gehörte auch er zu den Bossen, denen aus gesundheitlichen Gründen ein Hausarrest zuerkannt worden war, was ihm die nötige Freiheit gab, seine kriminellen Freunde zu treffen.
Die Operation Perseus war ein erstaunlicher Schlag, der im Ausland viel weniger Medienaufmerksamkeit erhielt, als er verdient hätte – sicherlich weit weniger als die Festnahme Bernardo Provenzanos zweieinhalb Jahre zuvor. Seitdem ist die Cosa Nostra zersplittert. Die Mafiosi, die noch auf freiem Fuß sind, haben weder die Erfahrung noch das nötige Charisma, um einen Wiederaufbau der Organisation nach den Richtlinien Benedetto Capizzis ins Auge zu fassen. Ihre oberste Priorität gilt jetzt dem Überleben: Dazu brauchen sie genügend kriminelle Einnahmequellen, um die schwere Bürde der Inhaftierten und ihrer Verwandten zu tragen und das Familiengefüge zusammenzuhalten.
Der Schaden, den die Cosa Nostra in den letzten zehn Jahren hinnehmen musste, hat Raum geschaffen für Initiativen aus der Bevölkerung gegen das System der Schutzgelderpressung. Sie zielen darauf ab, die Macht der Mafia an der Basis anzugreifen, und ihr Potential ist wahrlich revolutionär. Wie viele gute Ansätze derzeit in Sizilien hat die Bewegung gegen Schutzgelderpressung ihre Wurzeln in den Tragödien der 1980 er und frühen 1990 er Jahre.
Libero Grassi leitete eine Fabrik in Palermo, die Schlafanzüge herstellte. Als er 1990 einen neuen Standort bezog, im Schatten des Monte Pellegrino, erreichten ihn plötzlich Geldforderungen – es handle sich um einen Beitrag »für die Jungs im Ucciardone«. Grassi ging zur Polizei, und drei der Männer, die seine Fabrik aufgesucht hatten, um Geld einzutreiben, wurden verhaftet. Die Forderungen wurden bedrohlicher. Grassi reagierte mit einem offenen Leserbrief, der mit den Worten begann: »Lieber Erpresser«,
»ich wollte dem unbekannten Erpresser mitteilen, dass er sich die telefonischen Drohungen sparen kann und auch die Kosten für Zünder, Bomben und Projektile, weil
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