Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Aiellos Freund Giuseppe Guttadauro, ein führender Chirurg und Boss des Bezirks Brancaccio der Cosa Nostra. Es gibt eine lange Liste von Mafiaärzten – offenbar sahen sie keinerlei Unvereinbarkeit zwischen dem Hippokratischen Eid und den Gelübden der Cosa Nostra. Italiens halb privatisiertes Gesundheitssystem zu unterwandern, war in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine der Haupteinnahmequellen des organisierten Verbrechens auf Sizilien.
Der jüngste Fall eines Mitglieds der Grauzone wurde 2010 entlarvt. Als Salvatore Lo Piccolo 2007 gefasst wurde, bestimmten seine Soldaten einen gewissen Giuseppe Liga zu seinem Nachfolger als Boss des San-Lorenzo-Bezirks der Cosa Nostra. Ligas Spitzname in Mafiakreisen lautet der »Architekt« – aus dem einfachen Grund, weil er von Beruf Architekt ist. Vor kurzem musste er eine 20 -jährige Haftstrafe antreten.
Die Politik ist seit 1860 Teil der Grauzone der sizilianischen Mafia. Es wäre naiv anzunehmen, dass das Andreotti-Lager der Christdemokraten – »junge Türken« wie Lima und Ciancimino – die einzigen waren, die mit der Cosa Nostra unter einer Decke steckten. Weitaus wahrscheinlicher ist doch, dass viele politische Verbündete der Gangster aus den blutigen 1980 er Jahren ungeschoren davonkamen. Die Politiker der Mafia haben auch ihre Freunde und Handlanger jahrzehntelang in den Staatsapparat eingeschleust.
In den vergangenen Jahren wurde gegen mehrere sizilianische Politiker mit Mafiakontakten ermittelt. Der prominenteste Fall ist der Arzt Salvatore Cuffaro, der von 2001 bis 2008 Präsident der autonomen Region Sizilien war. Cuffaro verbüßt derzeit eine siebenjährige Haftstrafe wegen »Unterstützung und Begünstigung der Cosa Nostra« und anderer Vergehen. So wurde ihm zum Beispiel vorgeworfen, er habe Wahlkandidaten festgelegt, für die der Chirurg und
capo
Giuseppe Guttadauro seine Zustimmung gegeben hatte. Außerdem stand er im Verdacht, über polizeiliche Ermittlungen gegen Guttadauro Informationen weitergegeben zu haben, die er von einer Gruppe korrupter Carabinieri in der Staatsanwaltschaft von Palermo bezogen hatte. Trotz erfolgreicher Ermittlungen bleibt die geheime Absprache mit der Mafia ein Verbrechen, das schwer zu beweisen ist. Wie viele Cuffaros noch dort draußen sind, weiß niemand.
Die Cosa Nostra ist auch deshalb schwer zu zerschlagen, weil sie so viel Rückhalt in der legalen Wirtschaft findet. Über Generationen hatten Geld und Einfluss der Mafia einen unterschiedlich dichten grauen Schleier über einen Großteil des Wirtschaftsgefüges gelegt. Niemand weiß, wie viele Firmen mit Kapital aus Verbrechen aufgebaut wurden. Oder Mafiosi als stille Teilhaber haben. Oder an Amigo-Geschäften und Kartellabsprachen verdienen, die unter der Ägide der Cosa Nostra ausgehandelt wurden. Oder wessen Angestellte ihre Posten der freundlichen Fürsprache eines Bosses verdanken.
All diese politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen verleihen Mafiosi enorme Macht, sich Unterstützung zu erkaufen. Es zahlt sich aus, sich der Worte zu erinnern, die der »fromme« Boss Pietro Aglieri dem Richter gegenüber äußerte, der seine Festnahme verfügt hatte:
»Wenn ihr in unsere Schulen geht und von Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit redet, hören unsere Kinder euch zu und folgen euch. Sobald sie aber größer werden und sich nach einem Job umsehen, einem Heim, ein bisschen Hilfe bei gesundheitlichen oder finanziellen Problemen, an wen wenden sie sich dann? An euch oder an uns?«
An den Rändern wird die Grauzone heller, breitet sich aus in die Bereiche der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die nicht direkt der Kontrolle der Mafia unterstehen. Es gibt Tausende Unternehmen, die an der Grenze zur Gesetzlosigkeit agieren. Die Arbeit wird bar auf die Hand bezahlt, Steuern werden frisiert, Bücher gefälscht und Vorschriften umgangen. Der Rückgriff auf Offshore-Banking und Steueroasen ist in manchen Teilen des Bürgertums gang und gäbe. Ein Großteil der chronisch schleppenden Wirtschaft Siziliens ist abhängig vom Staatssektor, wo Vetternwirtschaft, Klientelpolitik und Korruption tiefverwurzelte Laster sind. Die Bosse drücken gern ihre eigenen Gesetze auf solch ein erstarrtes und gesetzloses System des Kapitals. Die Wirtschaft »außerhalb der Geschäftsbücher« ist, wie die Vetternwirtschaft, von Natur aus anfällig für den Einfluss der Mafia.
Selbst wenn er nicht im Bunde mit der Cosa Nostra steht, stimmt ein Großteil der Geschäftswelt Siziliens,
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