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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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von Palermo entfernt, die Steuern einzutreiben. Ein hochrangiger Regierungsbeamter stellte ihm ein Empfehlungsschreiben aus, das besagte, Miceli habe sich in keiner Weise an der Revolution von 1848 beteiligt – ein eklatanter Widerspruch zu den Fakten.
    1860 wechselte Miceli lässig ein weiteres Mal die Seiten und unterstützte Garibaldis Kampf gegen die Bourbonen. Natürlich wurde er daraufhin in die Nationalgarde aufgenommen. Über die Nationalgarde in Monreale, die unter Micelis Kommando stand, hieß es in einem offiziellen Bericht vom Juli 1862 , sie bestehe aus »Räubern,
camorristi
[sic], bourbonischen Royalisten und korrupten Männern«.
    Im jungen Italien konnte Miceli seine Karriere nicht so erfolgreich vorantreiben wie unter den Bourbonen. Und wie jedermann sah auch er, wie verhasst die italienische Regierungsgewalt auf Sizilien war. Im September 1866 setzte Miceli daher erneut auf die Revolution, ein letztes Mal, wie sich herausstellen sollte. Die Ziele des Aufstands waren diffus: die Rückkehr der Bourbonen oder eine Republik – keiner wusste Genaueres. Turi Miceli war es gleich. Die Politik, welcher Couleur auch immer, war für ihn nur ein Weg, durch Grausamkeit Macht, Einfluss und Geld zu erlangen.
    Im September 1866 unterstützte Turi Miceli zum ersten und letzten Mal die falsche Seite und fand einen schmerzhaften Tod. Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Es sollten keine Revolutionen mehr stattfinden auf Sizilien. Ob gut oder schlecht, die Insel würde italienisch bleiben. Andere Mafiabosse begriffen das besser als Miceli. Anstatt revolutionäre Truppen anzuführen, bildeten sie sogenannte »konterrevolutionäre Einheiten« und verteidigten den italienischen Status quo. Ihre Strategie spiegelte sich in den Schritten, die Salvatore De Crescenzo unternahm, der »rehabilitierte« Camorraboss aus Neapel: Wie De Crescenzo dachten sich die meisten führenden Mafiosi, dass ihre kriminelle Zukunft am ehesten gesichert wäre, wenn sie der italienischen Sache dienten. Der September 1866 war daher ein Schlüsselmoment in der Geschichte der Mafia.
    Die gutartige Mafia
    Im Neapel des 19 . Jahrhunderts stellte nie jemand in Zweifel, dass die Camorra tatsächlich existierte. Natürlich herrschte zuweilen Zurückhaltung hinsichtlich der Kontakte zwischen der frühen Camorra und den Freimaurergesellschaften des
Risorgimento
. Doch niemand hat jemals versucht, so zu tun, als sei die »Camorra« in Wirklichkeit nicht, was sie eben war, nämlich ein krimineller Geheimbund.
    Was dagegen die sizilianische Mafia anbelangt, so glaubten die meisten Menschen lange Zeit nicht, dass es sich dabei um eine geheime kriminelle Bruderschaft handelte, eine verbrecherische Freimauerloge. Die »Mafia« oder besser »Mafiosohaftigkeit« sei eine typische sizilianische Mentalität, hieß es, ein Inselsyndrom. Ein Mafioso litt an einem dermaßen aufgeblasenen Ego, dass es ihm schwerfalle, seine Konflikte auf offiziellem Wege zu lösen. Die Symptome dieser merkwürdigen Krankheit seien wahrscheinlich ein Erbe der arabischen Invasoren Siziliens im 9 . Jahrhundert.
    Soziologen des ausgehenden 20 . Jahrhunderts hatten ihre eigenen Versionen dieser Theorie: Mafiosi seien die Mitglieder von Selbsthilfegruppen in armen, entlegenen Dörfern – die zufällig gelegentlich ein paar Leute ermordeten. Andere behaupteten, sie seien lokale Problemlöser und Mediatoren oder gar Richter, deren Gerichtssaal die Piazza und deren Gesetzbuch ein alter, ungeschriebener Ehrenkodex sei. Meadow Soprano, die Tochter des Fernsehmafiabosses Tony, fasste die Theorie hübsch zusammen, indem sie sagte, die Mafia sei »eine zwanglose Konfliktlösungsmethode in Mittelmeerländern«.
    Wie wir noch sehen werden, wurde dieses Geflecht aus Täuschungen von der Mafia und ihren Verbündeten in der herrschenden Klasse Siziliens bewusst gesponnen. Einer der Hauptgründe, warum die sizilianische Mafia über einen so langen Zeitraum Italiens mächtigste Verbrecherorganisation bleiben konnte, war ihre Fähigkeit, die Illusion, es gebe sie überhaupt nicht, aufrechtzuerhalten. Diese Illusion kam in den Jahren nach dem Aufstand in Palermo von 1866 auf.
    Aus der Sicht der rechten Regierung hatte die traurige Geschichte des Aufstands von 1866 zumindest einen Helden: Antonio Starabba, Marchese di Rudinì und Bürgermeister von Palermo. Wie alle Bürgermeister jener Zeit war er direkt vom König eingesetzt und nicht vom Volk gewählt worden. Rudinì hatte sein Amt erhalten, weil er

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