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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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zwar Sizilianer war, sogar einer der reichsten Großgrundbesitzer der Insel, aber auch ein Mann der Rechten. Seine Rechtschaffenheit und sein Mut inmitten der Unruhen machten der italienischen Flagge alle Ehre und zogen auch die Bewunderung der europäischen Presse auf sich.
    Als die Aufständischen die Stadt stürmten, ließ Rudinì den Stadtrat antreten, um das Rathaus gegen die Rebellen zu verteidigen. Sein Haus an der Piazza Quattro Canti wurde geplündert; sein Vater starb vor Schreck; und seine Frau kam gerade noch davon, indem sie sich, mitsamt ihrem Baby, durch ein Fenster ins Freie rettete. Als das Rathaus nicht mehr zu halten war, brachte Rudinì die Insassen im Palazzo Reale in Sicherheit. Dort ernährte er sich gemeinsam mit anderen Regierungstreuen eine Woche lang von Pferdefleisch und beschoss die Aufständischen mit Musketenkugeln aus eingeschmolzenen Gasrohren. Rudinì, groß, blond und gutaussehend, mit einer ungezwungenen Autorität im Umgang, war noch keine 30  Jahre alt, als seine politische Karriere bereits steil nach oben führte. Er war jetzt ein Aushängeschild der Rechten und unterstützte ihren Plan, Sizilien zu zivilisieren. Bald nach dem Aufstand wurde er zum Präfekten befördert. Er war, in anderen Worten, Auge und Ohr einer zentralistischen Regierung in der Provinz, ein Funktionär mit Zugang zu den höchsten Kreisen des Polizeinachrichtendienstes. Wenn es um die Probleme Siziliens ging, konnte niemand die Aufmerksamkeit der Zentralregierung besser einfordern als er.
    Acht Monate nach der Palermo-Revolte im September 1866 begab sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss nach Sizilien, um sich über die dortige Lage zu informieren. Nun erhielt der Marchese di Rudinì eine Tribüne für seine Ansichten. Die Abgesandten versammelten sich im komfortablen Hotel Trinacria, unweit der Küste, vor dessen Türen Wachen postiert waren. Rudinì schilderte ihnen die Zustände, wobei er das Mafiathema mit erschreckender Klarheit zur Sprache brachte.
    »Die Mafia ist mächtig – mächtiger vielleicht als man meinen könnte. Sie aufzudecken und zu bestrafen ist oft unmöglich, weil es keine Beweise gibt, weder für die Verbrechen noch für die Täter (…) Wir waren nie in der Lage, ausreichend Beweise zusammenzutragen, um einen Prozess anzustrengen und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.
    Nur wer den Schutz der Mafia genießt, kann sich auf dem Lande frei bewegen (…) Der Mangel an Sicherheit hat folgende Situation hervorgebracht: Ein jeder, der auf dem Lande leben möchte, muss ein Brigant werden. Es gibt keine Alternative. Um sich und seinen Besitz zu verteidigen, muss man sich in den Schutz der Kriminellen begeben und sich auf irgendeine Weise an sie binden.
    Im Ucciardone-Gefängnis in Palermo existiert eine Art Regierung. Dort werden Regeln, Befehle und so weiter herausgegeben. Die im Ucciardone wissen alles. Deshalb sind wir fast der Überzeugung, dass die Mafia offiziell anerkannte Bosse hat.
    Im Umland von Palermo sind Verbrecherbanden sehr weit verstreut, und sie gehorchen vielen verschiedenen Bossen. Doch agieren sie oftmals in Übereinstimmung miteinander und richten sich nach dem Ucciardone, wo ihre Anführer sitzen.
    Ziel der Banden ist es, in all dem Chaos reich zu werden und ihre Feinde auszuschalten. Kurz gesagt, Raub und Rache.«
    Rudinì hatte recht. Zumindest soweit es in dieser frühen Phase in der Geschichte der Mafia möglich war. Zugegeben, über die Mafia zu sprechen, war politisch von Vorteil für den jungen Marchese. Zum einen ersparte er sich auf diese Weise die Einsicht, dass auch ihn eine gewisse Schuld an der Revolte traf. Seine selbstherrlichen Beschlüsse als Bürgermeister hatten ihn in Palermo ebenso verhasst gemacht wie Silvio Spaventa in Neapel.
    Dennoch wissen wir heute Rudinìs Einsichten über die Mafia zu schätzen. Besonderen Scharfsinn bewies er, indem er herausfand, wie die Großgrundbesitzer der Gegend sich »an die Mafia binden« mussten. Die Drohungen und Versprechen, mit denen sich die Mafia ein großes Stück vom Zitrusfrüchtehandel verschaffte, stellten sie über das Gesetz und sicherten ihr einflussreiche Freunde. Der eigentliche Schock, den Rudinìs Worte auslösten, lag in der Tatsache begründet, dass die Landeigentümer, die zu »Briganten« geworden waren, zugleich die herrschende Klasse der Provinz Palermo waren, also die politische Elite.
    Der selbstsichere junge Marchese di Rudinì hatte natürlich nicht auf alle Fragen die

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