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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Gambinos keine Engel seien, keine »Schienbeine von Heiligen«, wie es im Italienischen heißt. Doch hütete er sich, den naheliegenden Schluss zu ziehen, dass sie der Mafiawelt angehörten.
    Inspektor Sangiorgis Taktgefühl trug dazu bei, dass er seine Karriere fortsetzen durfte. Vielleicht trug es auch dazu bei, dass er am Leben blieb, vielleicht. Angesichts der »Brudermord«-Affäre liegt die Frage nah, warum die Mafia Sangiorgi nicht einfach ermorden ließ. Die Antwort ist wahrscheinlich eine Nutzen-Kosten-Analyse: Einen bekannten Polizisten zu töten, hätte der Ehrenwerten Gesellschaft vermutlich mehr Ärger als Vorteile eingebracht. Da war es weitaus besser, ihn einfach nur zu diskreditieren. Andererseits ist für die Mafia die Herabwürdigung einer Person oft nur ein Auftakt zu ihrer Ermordung. Mordopfer, in Schande gebracht, werden weder betrauert noch in Erinnerung behalten.
    Unter diesen Umständen erteilte die Polizeibehörde Sangiorgi nur eine sanfte Rüge, was sein künftiges Verhalten anbelangte, verweigerte ihm jedoch die Beförderung mit der Begründung, er sei noch nicht alt genug. 1878 musste er sich erneut verteidigen, da die Presse noch einmal den Vorwurf erhob, er mache mit der Mafia gemeinsame Sache. Wie sich herausstellte, war »Baron« De Michele der Verfasser der diffamierenden Texte. Doch Sangiorgi hatte zu diesem Zeitpunkt ungleich größere Sorgen: Sein Leben war aus den Fugen geraten, da seine Frau starb; wieder einmal war er ein alleinerziehender Vater. Doch er wurde nicht müde, die Mafia zu bekämpfen. 1883 deckte er eine
cosca
auf, die als die Bruderschaft von Favara bekannt war und die höllischen Schwefelminen der Provinz Agrigent kontrollierte. Sie bediente sich dabei derselben Taktik wie die Mafiosi in den Zitrusgärten der Conca d’Oro. Nachher wird Sangiorgis Karriere uns durch weitere 25  Jahre Mafiageschichte führen.
     
    Das strenge Durchgreifen der Linken im Jahre 1877 zerstörte die Mafia nicht, im Gegenteil. Zugegeben, die meisten Banditen, die in den ländlichen Gegenden Siziliens ihr Unwesen trieben, wurden erschossen oder an die Behörden verraten. Doch die Mafiosi, die sie beschützten – Männer wie »Baron« De Michele –, blieben unbehelligt. Nachdem es auf Sizilien verhältnismäßig ruhig geworden war, konnte die Politik zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung übergehen. Der große Feldzug der Linken für Recht und Gesetz sollte für zwei Jahrzehnte der letzte sein. Wie in der Unterstadt von Neapel erwies sich auch auf Sizilien, dass es einfacher war, gemeinsam mit dem organisierten Verbrechen zu regieren als dagegen anzukämpfen. Mafiosi lernten, ihre Gewaltbereitschaft auf ein für die neue politische Umgebung erträgliches Maß zu reduzieren. Seit die Linke an der Macht war, konnten sizilianische Politiker sich unter Zuhilfenahme der Ellbogen einen Anteil an den Geldern sichern, die jetzt für den Bau von Straßen, Eisenbahnen, für die Kanalisation und Ähnliches ausgegeben wurden. Mit Hilfe ihrer Mafiafreunde konnten sie diese Lire in die eigentliche Währung des Südens umtauschen: die Gefälligkeit.
    Unterdessen gingen die Prozesse voran, die nach Sangiorgis Entdeckung des Initiationsrituals der Mafia in Gang gekommen waren, mit sehr gemischten Resultaten. Viele Geschworene hegten ein tiefes und verständliches Misstrauen gegen die Polizei und plädierten nur ungern auf schuldig. In der Regel wurde nur den Verlierern der Mafiakriege erfolgreich der Prozess gemacht. Verlierern wie den Gambinos: Mafiosi, die all ihre Gefälligkeiten aufgebraucht hatten, die ihre »Freunde der Freunde« verloren hatten, deren »Seelenverwandtschaften« und Heiratsverbindungen zerbrochen waren und deren Feinde innerhalb der Mafia sich als gerissener, gewaltbereiter und besser vernetzt herausstellten, als sie es waren. Und noch dazu wurde die Mafia in den Gerichtsverfahren, dank Oberstaatsanwalt Carlo Morena, wie ein loses, flüchtiges Gebilde aus lokalen Gangs behandelt.
    Das Land hatte zwischen der Revolte von 1866 in Palermo und dem Feldzug 1877 gegen die Mafia eine lange Reise hinter sich gebracht. Zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse und unzählige Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft hatten versucht, das Phänomen Mafia klar zu umreißen. Doch trotz all der zwingenden Beweise, die aufgetaucht waren, blieb die Mafia »ein vager Begriff«, wie Carlo Morena sich ausgedrückt hatte. Schon in wenigen Jahren wäre das Initiationsritual der

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