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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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von oben nach unten einer rigorosen Moralisierung zu unterziehen, fand neuen Anklang, nachdem die Linke an die Macht gekommen war und eine Form der Klientelpolitik vertrat, die den Camorristi den Zugang zu öffentlichen Geldern sogar noch leichter machte. Villari inspirierte eine Generation radikal konservativer Kämpfer zu der Frage, die als
questione meridionale
, als »süditalienische Frage« bekannt wurde. Einer derjenigen, die Villaris Aufruf Folge leisteten, war Pasquale Turiello, der 1882 ein Übel diagnostizierte, das er als die Selbstsucht, Disziplinlosigkeit und »Laxheit« der neapolitanischen Gesellschaft bezeichnete. Der chaotische Filz der Linken, argumentierte Turiello, spiegle diese neapolitanische »Laxheit« nicht nur wider, er züchte sie geradezu. Die Stadt sei zweigeteilt: oben herrschten großbürgerliche Politklüngel, unten proletarische Camorrabanden.
    Die Ereignisse der 1880 er und 1890 er Jahre sollten Turiellos grimmige Diagnose bestätigen und seine Überzeugung befeuern, dass sie auf einen Großteil Süditaliens und Siziliens zutraf, sogar auf die nationalen politischen Institutionen. 1882 wurde schließlich das allgemeine Wahlrecht auf etwa sieben Prozent der Bevölkerung ausgeweitet. Jeder Bürger, der Steuern zahlte oder einige Jahre die Grundschule besucht hatte, erhielt jetzt eine Stimme. Eine weitere Reform folgte im Jahr 1888 : Die Wählerschaft für die Stadt- und Gemeinderäte wurde vergrößert; und die Bürgermeister größerer Städte wurden fortan ins Amt gewählt. Mit der Ausweitung der Demokratie wuchs auch der Markt für politische Gefälligkeiten. Mafiosi und Camorristi erhielten bald Gelegenheit – entweder direkt oder über ihre Freunde in der Landesregierung und der Kommunalverwaltung –, verlockende Vergünstigungen zu verteilen wie die Freistellung vom Militärdienst, Steuergeschenke und Posten im Rathaus. Nichtstaatliche Körperschaften wie Wohlfahrtsverbände, Banken und Krankenhäuser schmierten das Getriebe der Vetternwirtschaft.
    Unterdessen wurde Neapel, Inbegriff der laxen Gesellschaft, im Jahr 1884 von einer schrecklichen Choleraepidemie heimgesucht. Bourgeoisie und Aristokratie flüchteten in panischer Furcht. An die 7000  Menschen starben, die meisten davon in den Gassen und Behausungen der Unterstadt, die »Gedärmen glichen, zum Bersten voll mit Unrat«, wie ein Zeitgenosse sich ausdrückte. In den Nachwehen der Epidemie wurde der Ruf laut, man müsse die Innenstadt »ausweiden«. Schnell wurden Steueranreize geschaffen und öffentliche Gelder verteilt, um die ehrgeizigen Pläne zur Räumung der Elendsviertel und zum Bau einer Kanalisation in die Tat umzusetzen. In den darauffolgenden 25  Jahren schleppte sich die Modernisierung Neapels mit nervtötender Langsamkeit und Ineffizienz voran. Unterdessen zankten sich die politischen Cliquen der Stadt um einen Platz am Trog.
    Auf allen Regierungsebenen tat sich die laxe Gesellschaft enorm schwer, Reformen umzusetzen, die allen zugutekämen. Stattdessen produzierte sie am laufenden Band politischen Unsinn, der flüchtige Bündnisse zwischen gierigen Politikern und ihren Anhängern förderte. Im Zusammenhang mit Mafia und Camorra waren die wichtigsten Reformen in der Tat oft jene, die die geringste Aussicht hatten, verwirklicht zu werden: Das beste Beispiel hierfür ist das Polizeiwesen. Und wieder einmal lassen sich die Schwächen der laxen Gesellschaft am besten durch das Leben eines einzelnen Polizisten verdeutlichen.
     
    1888 arbeitete Ermanno Sangiorgi, der zum ersten Mal das Initiationsritual der Mafia entdeckt hatte, als Sonderinspektor am Innenministerium in Rom. Mittlerweile hatte er im Privatleben sein Glück gefunden, obwohl ihm dieses Glück wieder einmal den Ärger seiner Vorgesetzten einbrachte. Noch in Sizilien, sechs Jahre nach dem Tod seiner Frau, hatte er sich mit der Frau eines Kollegen eingelassen. Sein »skandalöses Benehmen«, wie es ein Vorgesetzter nannte, war bestraft worden, indem man ihn im Dezember 1884 auf der Stelle versetzt hatte. (Derartige Verstöße gegen die Moral wogen offensichtlich schwerer als der freundschaftliche Umgang mit Ganoven.) Sangiorgis neue Liebe, eine Neapolitanerin namens Maria Vozza, 20  Jahre jünger als er, war ihm gefolgt. Sie musste getrennt von ihm leben, damit seine Karriere nicht noch größeren Schaden nahm. Die beiden sollten bis zu seinem Lebensende ein Paar bleiben.
    Im September 1888 wurde Sangiorgi auf geheimer Mission nach Sizilien

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