Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
verkrüppelten alten Schweinehirten ein zweites Mal verprügelt hatte, brachte ihm weitere 14 Monate ein.
Maviglia wurde aus der
Picciotteria
ausgeschlossen und war nun seines Lebens nicht mehr sicher. Während Feldwebel Labella seine Detektivarbeit fortsetzte und Staatsanwälte ihre ersten Befragungen im Fall vornahmen, war es für die Bosse nun oberste Priorität, Maviglia zum Schweigen zu bringen.
An einem Ort wie Africo ersetzten Gerüchte die Zeitung, besonders wenn es galt, die Einwohnerschaft über die inneren Angelegenheiten der kriminellen Vereinigung zu informieren. Im Oktober 1894 machte die überraschende Meldung die Runde, dass die Calleas ihren Streit mit Pietro Maviglia beigelegt hätten. Angesichts der gerichtlichen Ermittlungen, die im Gange waren, sei wieder Harmonie in der Bruderschaft eingekehrt, hieß es. Maviglia selbst war nicht sicher, wie er auf die Friedensangebote reagieren sollte, die man ihm unterbreitete; er fragte seinen Bruder um Rat und vertraute ihm an, dass die
picciotti
ihn wieder in »die Sekte«, wie er sie nannte, aufnehmen wollten.
Die
picciotti
veranstalteten das Dudelsackfest am Allerheiligenabend aus zweierlei Gründen: erstens, um Maviglia zu versichern, dass das Angebot, ihn wieder in die Bruderschaft aufzunehmen, ehrlich gemeint sei. Zweitens, um seinen Mördern ein Alibi zu verschaffen. Während die Bandenmitglieder mit ihren Haartollen an jenem Abend auf der Straße tanzten, tranken und sangen, näherte einer der
picciotti
sich Maviglia und erklärte ihm, dass die Burschen eine Ziege gestohlen hätten und sie in einer Hütte auf dem Land gemeinsam verspeisen wollten, um Maviglias Rückkehr in die Bruderschaft zu feiern. Er zog die Faust aus der Tasche und öffnete sie lächelnd: »Ich hab sogar Salz mitgebracht«, sagte er.
Etwa eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit wurde Pietro Maviglia zum letzten Mal lebend gesehen. Auf den Gehstock gestützt, die Jacke über die Schulter geworfen, machte er sich in die Via Anzaro auf, die zum Friedhof führte.
Kurz danach forderte einer der Burschen den Dudelsackpfeifer auf, den Tanz zu beenden, und schlug dann die Richtung ein, die sein Opfer genommen hatte.
Am späten Morgen des 4 . November 1894 kamen der stellvertretende Richter und ein Arzt nach Africo, um eine grausige Pflicht zu erledigen. Sie waren insofern »Einheimische«, als sie nur vier Stunden Fußmarsch hatten zurücklegen müssen, um von der Bezirkshauptstadt Bova auf Bergpfaden, die Pferde nicht betreten mochten, nach Africo zu gelangen. Pietro Maviglia lag noch immer an derselben Stelle, wo man ihn am Abend davor gefunden hatte: mit dem Gesicht nach unten auf seinem Gehstock, in einem Feld etwa 15 Minuten von der Stelle entfernt, wo er das letzte Mal in Gesellschaft der tanzenden
picciotti
gesehen worden war.
Der Arzt arbeitete schnell, sobald die Leiche zum Friedhof geschafft und offiziell identifiziert worden war. Fünf Läsionen gaben ein beredtes Zeugnis von Maviglias letzten Minuten. Als Erstes hatte jemand den Alten in den unteren Rücken gestochen. Vermutlich folgte dann die Kopfverletzung: Mit einem Beil hatte man ihm den Hinterkopf eingeschlagen. Danach hatte man ihm zwei Dolchstöße versetzt, die beide links vom Brustbein in den Brustraum eingedrungen waren. Beide Herzkammern waren durchbohrt. Jede Verletzung für sich wäre schon tödlich gewesen, doch die Mörder – mindestens drei – kannten keine Gnade, brachten ihrem Opfer die fünfte und letzte Wunde bei, als es schon am Boden lag. Während jemand Maviglias Kopf an den Haaren nach hinten zog, schlitzte ihm ein anderer mit einer sehr scharfen Klinge die Kehle auf: Ein sauberer, zehn Zentimeter langer Schnitt hatte die rechte Halsschlagader, den Kehlkopf und die Speiseröhre durchtrennt. »Unverdaute Nahrung tritt aus«, notierte der Arzt ungerührt.
»Außerdem ist zu vermerken, dass sich grobes Kochsalz auf der Halswunde befindet. Die Mörder haben es darauf verstreut, vermutlich, um ihre Rachegelüste auszuleben.«
Pietro Maviglia war geschlachtet worden wie eine Ziege. In den Tagen nach seinem Tod sagten die Leute aus Africo, man hätte ihm auch seine Schmetterlingstolle abgesäbelt, »wie um zu zeigen, dass er der Verbindung nicht würdig war«. Der Arzt hatte das Gerücht weder bestätigt noch widerlegt.
Die abstoßenden Details der Ermordung Pietro Maviglias strafen die erste vieler historischer Aussagen über die
Picciotteria
Lügen. Die kalabrische Mafia habe zu
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