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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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zelebriert, zu dem Mitglieder des gesamten Bezirks geladen waren. Sie tranken eine Menge Wein und verspeisten eine Ziege, die sie dem Mann gestohlen hatten, der Velonà während seines Aufenthaltes bei sich hatte aufnehmen müssen. Jeder lachte, als einer der
picciotti
die Ehefrau des Hausherrn lautstark um Salz bat, weil er sich ein Stück Fleisch aufheben wollte. Die Männer wussten eine solch erfinderisch gestaltete
prepotenza
offenbar zu schätzen. Nachdem sie reichlich gegessen hatten, schickten die Bosse sich an, Karten zu spielen, während die jüngeren Mitglieder zu den Klängen der
zampogna
tanzten. »Dies alles geschah in der Öffentlichkeit, vor aller Augen«, erklärte ein Zeuge.
    Indem sie anderen das Vieh stahlen und das Diebesgut möglichst ostentativ verzehrten, um ihren Korpsgeist zu bekunden, stellten die
picciotti
sich an die Spitze der Nahrungskette; denn in dieser Gegend bestand die bäuerliche Kost vorwiegend aus vegetarischen Speisen. Anderswo ging die
Picciotteria
sogar noch weiter. Ein jeder sollte sehen, dass ihre Mitglieder zur Eiweißelite gehörten. In Bova, entrüstete sich der dortige Bürgermeister, habe ein
picciotto
(ein Schuster wie sein Boss) seinen Kumpanen aus anderen Ortschaften sogar ein Fischessen spendiert. Bova ist zwar nur etwa neun Kilometer Luftlinie vom Meer entfernt, doch diese neun Kilometer hätten auch 90 sein können: Verderbliche Ware konnte den mühsamen Transport auf einem Mauleselrücken von der Küste ins Gebirge kaum überstehen. Wie der Bürgermeister erklärte, erreichten Fische »nur höchst selten den Ort, und Leute aus bescheidenen Verhältnissen waren nicht an ihren Verzehr gewöhnt«. Dass ein Schuster seinen Gästen Fisch vorsetzte, entsprach auf kulinarischer Ebene in etwa dem protzigen Bling-Bling der Gangster.
    Auf dem Aspromonte gab es viele, die von diesen rudimentären Machtdemonstrationen beeindruckt waren. Während der Boss Velonà in Africo weilte, wurde er von einer Frau angesprochen, die ihm ein Schaf überbrachte und ihn bat, er möge »ihr die Ehre erweisen und ihren Sohn in die Verbindung aufnehmen«.
    Um so viel Bewunderung zu ernten, unternahmen Calleas Männer mehr, als nur den Sackpfeifer zu schikanieren oder für gemeinschaftliche Festessen die eine oder andere Ziege zu stehlen. Nach Aussage des Bürgermeisters von Africo waren allein im Jahr 1893 70  Schweine verschwunden. Auch andere Tiere kamen abhanden. Die Bestohlenen – Männer wie der Schulmeister, der Erzpriester und der Bürgermeister persönlich – hatten zu viel Angst, um den Verlust den Behörden zu melden. Gerüchten zufolge waren die Tiere billig an Metzger verkauft worden, die ebenfalls Mitglieder der Verbindung waren; Ziegen waren mit abgeschnittenen Ohren gefunden worden – also ohne die Brandzeichen ihrer Besitzer. Metzger in Bova berichteten später, der legale Viehhandel sei regelrecht eingebrochen, weil die Leute zu viel Angst hatten, um sich mit ihren Tieren auf den Weg zum Markt zu machen.
    Die sich häufenden Beweise aus Africo führen unerbittlich zu einer wichtigen Schlussfolgerung: Selbst in den abgeschiedensten Bergdörfern des Aspromonte, in denen Griko gesprochen wurde, gehörten die
picciotti
einer Organisation an, die weitaus größer und strukturierter war als ein loser Zusammenschluss lokaler Banden. Sie hatten nicht nur gemeinsame Rituale und Strukturen und eine gemeinsame Vergangenheit hinter schwedischen Gardinen, mit Filippo Velonà hatten sie auch einen charismatischen Boss, der über ein großes Territorium verfügte. Sie waren sogar der Zuständigkeit eines einzigen Richters unterstellt: Sein Name lautete Andrea Angelone.
    Angelone war ein alter Gefängnis-Camorrista, 59 , um genau zu sein. Er war 1887 , nach zwölfjähriger Haft, zum letzten Mal aus dem Gefängnis entlassen worden und hatte sofort einen Zweig der
Picciotteria
in seinem Heimatdorf Roccaforte del Greco gegründet, wo Griko gesprochen wurde. Obwohl er danach keine aktive Rolle im Tagesgeschäft der Sekte mehr spielte, erhielt er nach wie vor seinen regulären Anteil an den Einnahmen, als Gegenleistung für seine weisen Ratschläge bei Tribunalen. Griko sprechende
picciotti
hatten auch Kontakte in Reggio Calabria und im Bezirk Palmi.
    Die Behörden in Palmi berichteten von einem ähnlich weitreichenden Verbindungsnetz. Die verschiedenen Sektionen der Organisation in der Ebene Gioia Tauro hatten »Gesandte, damit sie miteinander kommunizieren konnten«. Und während jede der

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