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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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örtlichen Sektionen ihren eigenen Boss und Unterboss hatte, war ein Konglomerat solcher Sektionen der Autorität einer Bande unterworfen.
    Wie auf Sizilien war der Viehdiebstahl auch hier einer der Hauptgründe für solche Zusammenschlüsse. Viele der kalabrischen Mafiosi waren Holzfäller und Hirten, die nichts dagegen hatten, ihre Tage ununterbrochen in den Bergen zu verbringen, und die zahllosen Pfade des Aspromonte kannten wie ihre Westentasche. Die Methode der Viehdiebe war denkbar einfach, regelrecht narrensicher: Man stahl die Tiere und entging der Entdeckung, indem man sie über die Berge trieb, zu vertrauenswürdigen Komplizen, die sie auf den Märkten entlegener Dörfer zum Verkauf feilboten. Die
picciotti
fuhren auch zu den regulären Jahrmärkten – noch immer ein wichtiger Bestandteil der kalabrischen Wirtschaft in den Bergen –, um Erpressungsgelder einzutreiben.
    Was unternahmen die Behörden in den späten 1880 er und frühen 1890 er Jahren, während die
Picciotteria
ihre Mitgliederzahl beständig vergrößerte und ihr Netzwerk ausweitete? Leider sehr wenig. Africo, Roccaforte, Bova und die übrigen
Picciotteria
-Zentren gehörten noch immer zu den Landstrichen auf der Halbinsel, wo der Begriff »Italien« außer Steuern, Militärdienst und dem gelegentlichen Besuch einer Patrouille Carabinieri nicht viel bedeutete. Im April 1893 schickten zwei Forstbeamte einen Brief an den örtlichen Richter, in dem sie auf die Existenz »einer gefährlichen Sekte sogenannter
maffiosi
« in Africo und Umgebung verwiesen. Ihre Warnung wurde ignoriert und unter einem Stapel Schreibarbeit begraben.
    Dort wurde sie, über ein Jahr später, von einem dynamischen neuen Repräsentanten der schwachen Staatsgewalt gefunden, von Feldwebel Angelo Labella, dem Kommandanten der Carabinieri in Bova. Am 21 . Juni 1894 schrieb Labella seinen ersten Bericht über die kriminelle Vereinigung, die er ans Licht gebracht hatte: Er nannte 50  Mitglieder beim Namen, darunter auch Domenico Callea und Filippo Velonà. In den darauffolgenden Wochen fügte Labella seiner Liste weitere Namen hinzu und legte den Grundstock für eine umfangreiche Verfolgung, indem er Zeugen aufführte, die Beweise gegen die Bande erbringen konnten. Endlich, so schien es, ginge der italienische Staat daran, die Herrschaft der
Picciotteria
an diesem vergessenen Ort anzufechten.
    Im September 1894 kamen Ermittlungsrichter in die Bezirkshauptstadt Bova, um die Zeugen zu befragen, die Labella genannt hatte. Angesichts dieses Angriffs auf ihre Autorität machten die
picciotti
mobil. Sie richteten verbale Drohungen gegen jeden, der Anstalten machte, gegen sie auszusagen, einschließlich der wohlhabenderen Bürger Africos. Sie schlachteten Tiere und ließen sie zur Warnung auf den Feldern liegen, verwüsteten Reben, fällten Ende Oktober zwölf Obstbäume und ritzten Begräbniskreuze in die Stümpfe, um sicherzustellen, dass die Botschaft hinter der Zerstörung auch verstanden wurde.
    Die
picciotti
rekrutierten auch den
zampognaro
für ihren Einschüchterungsfeldzug. Er musste sie musizierend durch die Straßen begleiten, während sie Drohlieder über ihre Feinde improvisierten, zu denen gebildete Leute wie die Stadträte, der Erzpriester, der Steuereintreiber und Feldwebel Angelo Labella zählten. Unter dem Balkon eines Grundbesitzers grölten sie das folgende holprige Liedchen:
    »Jetzt nehmt Feder und Tinte zur Hand für einen neuen Prozess. Doch sind wir erst frei, rächen wir uns mit eigenen Händen.«
    Während ihre
picciotti
solche Drohgesänge zum Besten gaben, hatten Domenico Callea und die übrigen Bosse bereits über das Schicksal des gefährlichsten Kronzeugen entschieden, den Feldwebel Labella in seinem ersten Bericht genannt hatte: ein 50 -jähriger Schweinehirt namens Pietro Maviglia.
    Maviglia gab keine sehr eindrucksvolle Figur ab. Wegen eines verkrüppelten Beins ging er am Stock, und ohne Verschnaufpause kam er nicht sonderlich weit. (Die Obduktion seiner Leiche würde in seiner wunden Lunge Symptome einer Pleuritis zutage fördern.) Doch er war ein Mitglied der Bande – sogar eines ihrer frühesten Mitglieder –, nur das zählte.
    Im Jahre 1892 hatte sich Maviglia mit Domenico Calleas nicht minder bösartigem jüngeren Bruder Bruno überworfen, der ihn deshalb verprügelt hatte. Aus Rache verriet Maviglia der Polizei, dass Bruno Callea einen Diebstahl begangen hatte. Callea wurde daraufhin zu zwei Jahren Haft verurteilt. Dass er den

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