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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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erhielt tatsächlich eine großzügige Geldzuwendung, um an die Bank von Sizilien zurückzukehren, und zudem die Vollmacht, erneut scharf gegen Korruption vorzugehen. Und hätte Notarbartolo seinen Posten als Generaldirektor der Bank von Sizilien zurückerhalten, so hätte er mit Sicherheit einen Betrug aufgedeckt, in den die mächtigste wirtschaftliche und politische Interessengruppe auf der Insel verwickelt war – und der sie direkt mit Raffaele Palizzolo und der Mafia in Verbindung bringen musste.
    In der Abenddämmerung des 1 . Februar 1893 jedoch wurde Emanuele Notarbartolo in einem Zug nach Palermo mit 27  Messerstichen getötet; seine Leiche wurde auf die Gleise geworfen.
    Monate später sah man Notarbartolos Frau weinend die vielen hundert Briefchen verbrennen, die er ihr geschrieben hatte. Während sie weinte und Italien in eine finanzielle, gesellschaftliche und politische Krise schlitterte, die das junge Land in die Knie zu zwingen drohte, verwischten die Mafia und ihre Komplizen in aller Ruhe die Spuren der Mörder und begruben die Geschichte verschlagen unter einer Schicht aus Täuschung und Verdunkelung.
    Der Grund, warum wir heute über die Kungelei an der Bank von Sizilien im Bilde sind und warum der Mord an Emanuele Notarbartolo schließlich doch vor Gericht kam, war die tieftraurige Entschlossenheit seines Sohnes Leopoldo, eines jungen Marineoffiziers, der aus demselben Holz geschnitzt war wie sein Vater.
    Von Anfang an zweifelte niemand ernsthaft daran, dass Emanuele Notarbartolo der Mafia zum Opfer gefallen war, obwohl Letztere noch nie zuvor jemanden seines gesellschaftlichen Ranges getötet hatte. (Sie würde dies erst wieder in den 1970 er Jahren tun.) Von Anfang an hörten die Behörden munkeln, dass kein anderer als der ehrenwerte Don Raffaele Palizzolo den Mord angeordnet hatte. Leopoldo Notarbartolo, der über Palizzolos langjährige Feindschaft mit seinem Vater durchaus im Bilde war, hatte mehr Grund als jeder andere, das berüchtigte Parlamentsmitglied der Mittäterschaft zu verdächtigen. Und doch geschah nichts. 1894 , über ein Jahr, nachdem Notarbartolo tot auf den Gleisen gelegen hatte, erklärte ein ranghoher Richter in einem Brief an den Justizminister die Gründe, warum noch niemand unter Anklage stand.
    »Dieses Versäumnis lässt sich folgendermaßen begründen: Erstens hat die hohe Mafia den Mord von langer Hand geplant und mit größter Sorgfalt ausgeführt; zweitens erhalten die Behörden keinerlei Unterstützung durch die Bevölkerung, weil sämtliche Zeugen aus Loyalität oder aus Angst schweigen.«
    Nach alledem, was wir mittlerweile über die Geschichte der Mafia wissen, können wir noch einen dritten Grund hinzufügen, den der Richter unerwähnt ließ: Polizei und Justiz in Palermo waren selbst zutiefst von der Mafia unterwandert.
    Leopoldo Notarbartolo sah, auf welch skandalös nachlässige Weise die Ermittlungen geführt wurden, und begann schließlich auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Wie viele Italiener begab auch er sich auf eine lange, einsame Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit: Sie nahm über ein Jahrzehnt seines Lebens in Anspruch. Wie die meisten solcher Nachforschungen war auch jene Notarbartolos von akribischer Genauigkeit geprägt: Er durchforschte die Papiere seines Vaters, befragte zögerliche Zeugen, unternahm Reisen, um verdächtige Alibis zu prüfen. Und wie die meisten solcher Nachforschungen war auch jene Notarbartolos eine Suche nach politischer Unterstützung.
    Leopoldo Notarbartolo wusste, dass er nur dann eine Chance hatte, die Staatsintrigen zu entlarven, die zum Tod seines Vaters geführt und dessen Mörder vor der Justiz bewahrt hatten, indem er die eigenen Kontakte zu hochrangigen Persönlichkeiten nutzte. Zuweilen müssen sich in Italien die guten Kräfte derselben Beziehungskanäle bedienen wie die bösen.
    Als Francesco Crispi – der Premierminister, der den Lobbyisten der NGI -Reederei nahestand – infolge der demütigenden Niederlage Italiens in der Schlacht von Adua im März 1896 den Hut nehmen musste, war sein Amtsnachfolger wiederum ein Sizilianer: einer, mit dem sich reden ließe, wie Leopoldo glaubte; einer, der in der Geschichte der Mafia bereits eine Rolle gespielt hatte.
    Antonio Starabba, Marchese di Rudinì und Bürgermeister von Palermo, hatte sich einen Namen gemacht, indem er den Palazzo Reale während des Aufstands in Palermo im September 1866 zu verteidigen wusste. Emanuele Notarbartolo hatte ihm zur

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