Omka: Roman (German Edition)
warum …«
»Mutter«, hörte er und führte den Gedanken im Stillen gleich weiter, »schwere Kindheit«, und ihm schien, als habe er das auch schon tausendmal gehört, ein Gefühl wie Mehltau befiel ihn.
»Es ist doch immer das Gleiche«, dachte er traurig.
»Wir sind wirklich nicht sonderlich verschieden. Und ich denke manchmal, ich darf gar nicht da sein, ich …«
»Ja, aber«, sagte Josef, »du bist nun mal da, und daran ist nichts zu ändern, und das ist auch gut so«, sagte er und lachte ein bisschen hilflos.
In Omkas Kopf hallte das Satzstück »nichts zu ändern« wider.
»Du bist erschöpft«, sagte Josef, der seit dem Wort »Mutter« nur mehr denken konnte, dass sie nach einer tiefenpsychologischen Erklärung für etwas ganz Banales suchte, sie nicht fand und darüber böse war. Er wollte ihr helfen und alles einfacher machen, sodass sie sich nicht in etwas verwirrte, das ihr am Ende gar nicht nützlich sein konnte.
»Omka«, sagte er dann, »liebste Omka«, und nahm ihre Hände zwischen seine. »Ich … mach dir keine Sorgen, wir bekommen das schon alles hin, wir … aber du musst auch sehen, dass du etwas dafür tun musst, nicht immer zu Hause sitzen darfst … eine neue Bewerbung aufsetzen, dir etwas schaffen, was dich erfüllt – neben dem Kind und mir und dem Haushalt … das glaube ich einfach, und vielleicht ist es auch wirklich so banal, wie es klingt, aber vielleicht sind wir alle auch nicht so unterschiedlich und … vielleicht möchtest du auch nur einmal etwas Neues machen oder etwas anderes, ein Hobby, etwas, das dir Spaß macht … das glaube ich wirklich, ich glaube wirklich, dass du dieses Gefühl dann nicht mehr hast.«
Omka nahm noch einen Schluck Champagner.
»Ja aber«, sagte sie »aber …«
Er küsste ihre Handinnenfläche. »Manchmal ist es eben so, dass man gar nichts versteht«, dachte er und wollte ihr eine Stütze sein.
»Aber ich«, sagte sie, und plötzlich waren ihr ihre eigenen Gedanken zu schwer, zu kompliziert und zu verworren. Sie verließ sie, so wie man einen Geliebten verlässt, den man nicht mehr mag, ohne ein Wort, ohne Aussprache und ohne Erklärung, und fühlte sich von etwas Erdrückendem befreit.
»Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich sagen will.«
Sie hielt ihm das leere Glas hin, er beeilte sich, ihr nachzuschenken.
»Entschuldige«, sagte er schnell, weil ihm nicht gleich aufgefallen war, dass sie noch Champagner wollte.
Und dann war die Flasche leer.
Kapitel XII Die Hochzeit
Sie sprachen nicht mehr über die Nacht, nicht über Omkas leeren Blick und nicht über Josefs Gefühl, das er am Grunde seiner Seele hatte: Er konnte sich nicht erklären, wie ein Mann wie er, der eine gute Mutter gehabt hatte, eine ganz normale Kindheit, der versuchte, dem weiblichen Wesen auf den Grund zu gehen und der über eine universitäre Ausbildung und gesunden Menschenverstand verfügte, Gefallen daran finden konnte, dass ihn eine Frau in der Nacht anherrschte und so grob mit ihm umging, als würde sie ihn gar nicht lieben und nicht einmal mögen. Andererseits empfand er es als sein Verdienst, dass sie sich ihm offenbar so zeigen konnte, wie sie wirklich war, dass sie sich nicht verstellte und ihm also vertrauen musste, und irgendein Gefühl des Triumphs mischte sich zu den anderen, die er Omka gegenüber hatte. Eine Frau, die aussah wie ein erwachsenes, schönes Kind und die am Tag so empfindlich und durchsichtig wirkte, als wäre in ihren Adern Wasser statt Blut. »Rechtsanwältin«, dachte er »daher muss es kommen, irgendwie muss es damit zusammenhängen.« Aber ihre Freude daran, wenn er sich ärgerte, war ihm auch im Zusammenhang mit ihrem Beruf ein Rätsel.
Eine unterirdische Höhle mit einem Salzsee, das Wasser ist kalt, und von dem vielen Salz bauen sich da und dort scharfkantige Kristalle zu kleinen Türmen auf, und das Licht bricht sich in tausend Facetten in ihnen. Alles funkelt in der Dunkelheit. Von der Decke tropft das Wasser, und dort, wo es aufschlägt, ragen glänzende, mineralische Spitzen aus Kalk empor. Josef träumt, er sei in der Höhle, in dem Salzwasser und braucht sich nicht zu bewegen oder zu schwimmen, das Wasser trägt ihn einfach. Durch einen Spalt im massigen Stein fällt ein schmaler Streifen weißen Lichts, und alles atmet die absolute Reinheit der Kälte ein und aus, von der er sich tragen lässt. Er hat das Gefühl, Omka sei da, sie taucht vor ihm aus dem Wasser auf. Er greift nach ihr, als sie untertaucht,
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