Omka: Roman (German Edition)
verstehen, konnte er nicht anders. Ständig las er von Leuten, die solche pathetischen Sätze als ganz neue Idee des menschlichen Subjektes an sich äußerten, jedes Kind mit schrecklichem Vornamen musste etwas Besonderes oder ganz anderes sein, gleich war sowieso nichts mehr, alles war »irgendwie anders«, und wer es nicht war, war aus irgendeinem Grunde inexistent.
»Ich bin völlig normal und genauso wie alle anderen« – dieser Satz ist ein Todesurteil, zumindest schien es eine gewaltige Angst vor der Gleichheit zu geben. Über Josefs Verstehen lag ein dünner, abgeschmackter, fader Film, der nicht abzubekommen war. Von tief innen drängte etwas aus ihm heraus, er bemühte sich, es unten zu halten, atmete ein und langsam wieder aus, in seinem Blut prickelte der Schaumwein, und plötzlich brach ein Lachen aus ihm heraus, das durch ihr ernstes Gesicht noch schlimmer wurde. Er verlor die Beherrschung, lachte, prustete, und wenn er Omka ansah, musste er noch mehr lachen. Der Gedanke, dass er gar nicht mehr über das lachte, was sie gesagt hatte, sondern einfach, weil er eben jetzt, wo es ihn übermannt hatte, weiterlachen musste, er plötzlich alles komisch fand und ihm jetzt noch dazu der Gedanke kam, dass er die Schuhschachtel mit dem Korken des miesen, billigen, aber immerhin alkoholischen Champagner hätte abschießen sollen, und wie passend das gewesen wäre, führte dazu, dass er jetzt in einem Strom aus Lachen schwamm. Omka saß wie zur Salzsäule erstarrt, den türkisfarbenen Seidenschal um den Hals, und sah ihn kalt an. Ihr ernstes, böses Gesicht auf ihm war für Josef eine Katastrophe, und er dachte später, dass er, hätte sie mitgelacht, wahrscheinlich schneller damit hätte aufhören können, aber so. Es hätte ihn keineswegs verwundert, wenn sie sich jetzt von ihrem Stuhl erhoben hätte, einen Schritt auf ihn zugemacht und mit einer großen Geste die Hand ausgestreckt hätte, um zu sagen: »Die sieben Jahre sind um, gib mir mein Otterfell wieder« oder noch besser: »Ich muss zurück, von wo ich gekommen bin.«
Wieso konnte man einfach nicht vernünftig darüber sprechen, wie es wirklich war. Wieso war ihr Zustand offenbar überhaupt nicht klar, die Labilität, das mangelnde Selbstwertgefühl, die Absage vom Krankenhaus. Wäre es nicht einfach eine Befreiung, zu sagen: »Ich bin einfach enttäuscht gewesen und habe deshalb Geld rausgeworfen.«
Basta – und daran war ja nicht einmal etwas auszusetzen. Aber nein. Der Zustand eines weiblichen Wesens musste offenbar immer etwas mit dem Übersinnlichen zu tun haben, und jede Bodenberührung schien etwas Banales zu haben. Er konnte nicht anders.
»Weiber!«, dachte er und schämte sich gleich darauf, um sich im nächsten Moment eingestehen zu müssen, dass er genau das gemeint hatte, und war nur froh, dass er es nicht laut gesagt hatte.
»Mann, du bist betrunken«, dachte er und zog sich damit aus der Affäre.
Das Lachen verebbte langsam, dazwischen wischte Josef sich die Augen, tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab und sagte: »Entschuldige bitte, es tut mir wirklich leid, Liebste, aber …«
Omka saß kerzengerade auf ihrem Stuhl, ihr Blick lag auf ihm, als wollte sie ihn gleich auffressen vor Wut, und irgendetwas an ihr war ihm jetzt unheimlich.
»Es tut mir leid«, sagte Josef noch einmal.
»Aber dieser Satz, ich meine DER Satz, das war jetzt … ich konnte nicht anders.«
Sie stand von ihrem Stuhl auf, ohne zu wissen, was sie jetzt machen sollte, schien mit ihrer Beherrschung zu ringen, um dann schlussendlich die Augen leicht zu schließen, tief ein- und auszuatmen und dann zu sagen:
»Es ist schon gut.«
Ein Schuldgefühl wuchs in ihm.
Omka war traurig und gab sich Mühe, einen gefassten Eindruck zu machen.
»Nichts Besonderes«, ging es durch ihren Kopf, und etwas Kaltes, Glattes schien sie zu berühren, sie fühlte sich, als liefe sie auf großen, glatten, nassen Steinen. Josef rückte seinen Stuhl zurecht.
»Setz dich doch wieder«, sagte er, »bitte.«
Omka setze sich widerwillig.
»Ich möchte wirklich wissen, was los ist.«
Stille kehrte ein. Omka sagte dann nur:
»Ich kann es dir nicht so erklären, dass du es verstehen kannst. Wenn ich ›anders‹ sage, verstehst du es schon falsch, wenn ich ›Seele‹ sage, auch, irgendetwas fehlt mir, und ich kann nicht sagen, was es ist … aber … ich denke manchmal, es hängt irgendwie mit meiner Mutter zusammen, sie hat mir nie die Wahrheit gesagt,
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