On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Erfindung, die ich vor meiner Berliner Zeit nicht kannte und die wohl nur existiert, damit sich Männer aller Altersgruppen unabhängig von Fußballveranstaltungen einmal im Jahr ohne schlechtes Gewissen betrinken können und herumgrölen dürfen. Eine Art St. Patrick’s Day für Preußen.
Terminlich fällt der Herrentag mit Christi Himmelfahrt zusammen. Damit will der Berliner sagen: »Ja, ick weeß, heute wär irgendson Feiertag mit Gott. Ick brauch aber keen Gott. Solange es noch Sternburg für fuffzich Zent gibt, bin ick auch ohne Gott ganz zufrieden.«
Als ich ankam, saßen auf dem Oberdeck ein paar der üblichen Touristen und auch schon die erste Herrentagsgang. Enge T-Shirts und Muckibudenfiguren, Silberkettchen und Gelfrisuren. Ein italienischer Staatssekretär hatte sich einst über »einförmige, blonde Deutsche, die lärmend über Italiens Strände herfallen« beschwert und damit fast einen diplomatischen Skandal ausgelöst. Gemeint hatte er diese Typen. Und recht hatte er.
Wir legten ab. Während der ganzen Tour machten die Herrentagler Lärm vom Heck. Einer erzählte anscheinend die ganze Zeit Witze, die ich aber nicht genau verstehen konnte:
»Waffa kuffa huttapatta! Katta pucka, Häyte-päyte, vastehste!«
Dann lachten alle ihre bierbassigen Außenbezirkslachen. Was der italienische Staatssekretär einförmige Deutsche nannte, nannte ich Hellersdorfer. Hellersdorf: Welcome to Plattenbau Country. Home of the Silberkettchen über dem Pullover. Hobbys: Autotuning und Schlägerei. National holiday: Herrentag.
Der erste Zwischenfall passierte am Hauptbahnhof.
»Meine Damen und Herren, wenn Sie jetzt nach rechts sehen, sehen Sie dort die Einfahrt zum Humboldthafen, dem ältesten Spreehafen Berlins, der aber nicht mehr als solcher genutzt wird.«
Plötzlich fing die Hälfte an zu tuscheln. Ein paar andere lachten laut. Erst jetzt sah ich hin. Am Ufer standen vier Proleten, urinierten in die Spree und winkten uns zu. Merken: Erst selber hingucken, dann zum Hingucken auffordern.
»Äh … Ladies and gentlemen. Please don’t look right, there’s nothing to see on the right side. Nothing at all. Look left, there you see … äh … the Swiss Embassy. Now, that’s really interesting, isn’t it?«
Ein paar Herrentagler sprangen auf, grölten und winkten den Urinierern zurück. Ein Passagier schrie sie an:
»Hey, ihr Bengels! Sagt mal, macht ihr das zu Hause auch?«
»Nee«, rief ein Urinierer zurück. »Zu Hause pissen wir grundsätzlich nicht. Dafür kommen wir immer hierher.«
Nach dieser Tour bekam ich insgesamt fünf Euro zweiunddreißig sowie 50 dänische Öre Trinkgeld. Zwei ebenso erschrockene wie empörte Amerikaner gingen von Bord:
»That’s the problem with these Germans. They are always drunk. I’ve been here for two days now and I have not seen one sober German.«
»Yeeh!«, sagte der andere. »And you see what happens when people drink. First they become Nazis, then they become communists, then they vote for a gay mayor. Drink is the root of all evil.«
Mit jeder Tour wurden die Herrentagler unverschämter. Einer riss sich die Klamotten vom Leib und tanzte in der Unterhose über das Oberdeck. Ein britischer Tourist, der solche Zustände eigentlich aus seiner Heimat hätte kennen müssen, legte sich mit ihm an und hätte sich fast eine Tracht Prügel erquatscht. Bei der vierten Tour um drei Uhr waren nur noch Hellersdorfer an Bord. Die übrigen Touristen hatten sich in ihre Hotels zurückgezogen oder suchten bereits Zuflucht in den Botschaften ihrer Heimatländer.
Nun wurde es unangenehm. Wir fuhren unter der Weidendammer Brücke durch.
»Rechts das Theater am Schiffbauerdamm, das seit den Fünfzigerjahren das Berliner Ensemble beheimatet.«
Im hinteren Bereich hörte ich jemanden poltern:
»Wat hat der gesagt, Alta? Wat war dit? Hat der wat gesagt?«
Ich fuhr fort:
»Das Theater wurde schon in den Zwanzigerjahren berühmt, als hier Bert Brecht –«
Der Beschwerer stand auf und brüllte:
»Alta, wat hast du gesagt? Wie heißt dit Ding?«
Was war denn mit dem los? Er sah nicht so aus, als ob er sich fürs Theater interessierte, und sein Tonfall ließ nicht darauf hoffen, dass er sich bei mir nach dem Spielplan der nächsten Wochen erkundigen wollte.
»Theater am Schiffbauerdamm«, sagte ich.
»Nee, dit andere da. Berliner wie?«
»Berliner Ensemble«, sagte ich.
»Ach, Berliner Ensemble? Alta, bist du ne Tucke, oda wat? Bist du schwul? Oder Franzose?«
»Is doch dit
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