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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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Fläche von 892 Quadratkilometern. Ein letztes Stück Mauer kann man an der Niederkirchnerstraße sehen, neben dem Gropiusbau. Der Führerbunker war unter der Reichskanzlei, die in dem Häuserblock zwischen den Ecken Gertrud-Kolmar-Straße/In den Ministergärten und Wilhelmstraße/Voßstraße lag. Heute stehen dort das Chinarestaurant Peking Ente und der Lieferservice Pizza Planet * .
    Lediglich einige Fragen von Australiern oder Neuseeländern brachten mich noch aus dem Konzept: Warum hat Hitler eigentlich die Mauer gebaut? Auf welchem Friedhof liegt er begraben? Und: Wenn man nicht über die Mauer konnte, warum sind die Leute nicht einfach außenherum gegangen? Den Negativrekord hält diese Frage: Haben die Vergasungen in den KZ s eigentlich irgendetwas Positives bewirkt? **
    Mit der üblichen Erwartungshaltung des durchschnittlichen deutschen Touristen konnte ich mittlerweile gut umgehen. Im Grunde wollten die Touristen ihre Vorstellungen krass widerlegt oder eindeutig bestätigt haben. Alles Relative dazwischen verwirrte sie zu sehr, ließ sie an den Fähigkeiten des Stadtbilderklärers zweifeln und gab ihnen das Gefühl, auf der Tour nichts gelernt zu haben, was sich negativ aufs Trinkgeld auswirkt. Erwünscht sind zwei gegensätzliche Arten von Reaktionen. Entweder: »Ach, das ist ja interessant. Wer hätte das gedacht!« Oder: »Na, hab ich es mir doch gedacht! Der Stadtführer hat es mir bestätigt, jetzt ist es amtlich.« Unerwünschte Reaktionen sind »Ja, na und?« oder »Das weiß ich doch«.
    »Der Mühlendamm heißt so, weil hier früher viele Mühlen standen.« Mehr kann man in einem Satz nicht falsch machen. Er ist ein einziger Pleonasmus und ist auch noch glanzlos formuliert. Richtig hieße der Satz: »Der Mühlendamm hat seinen Namen – nein, nicht wie Sie vielleicht denken von einer Mühle, die hier früher gestanden hätte, sondern von einem Berliner Unternehmer namens Adolf Mühlen, der hier in der Nähe eine der ersten Bulettenschmieden Berlins betrieben hat.«
    Das ist zwar faktisch völliger Quatsch, erfüllt aber die Kriterien an Erwartungshaltung und Formulierung. Für die Praxis war der Satz zu gewagt. Andere funktionierten sehr gut, weil sie eine auf den ersten Blick verwunderliche Tatsache beschrieben. Dabei waren gerade diese Sätze oft völlig banal. Ich wunderte mich immer wieder, welches Erstaunen man bei Touristen mit dem Satz »Berlin hat mehr Brücken als Venedig« hervorrufen konnte. Eigentlich ist es nämlich nicht weiter verwunderlich, dass eine Stadt mit drei Millionen Einwohnern, drei Flüssen, fünfzehn Kanälen, fünf Fernbahnhöfen, 250 Kilometern S-Bahn- und 140 Kilometern U-Bahn-Strecke mehr Brücken hat als ein Nest von 60 000 Einwohnern, das sich seit der Renaissance baulich nicht mehr verändert hat. Wahrscheinlich hat Berlin auch mehr Prostituierte als Amsterdam, mehr Musiklokale als New Orleans, mehr Schinkenräuchereien als Parma und mehr Skilehrer als St. Moritz. Überraschung! Und Lamas sind größer als Frösche.
    Manchmal wurde ich nach der Tour noch explizit nach diesem Fakt gefragt.
    »Sagen Sie mal, junger Mann: Berlin hat tatsächlich mehr Brücken als Venedig?«
    Hier ist es gut, wenn man eine Zahl parat hat.
    »Ja, das stimmt wirklich. In Berlin gibt es ungefähr 2000 Brücken.«
    »Ach, das ist ja interessant.«
    Zack! Zwei Euro. Für einen albernen Zahlenfakt. Dass es in Venedig nur knapp 150 Brücken waren und somit wahrscheinlich auch Bielefeld, Heilbronn oder Wuppertal mehr Brücken als Venedig hatten, kam den Touristen nie in den Sinn.
    Anders verhielt es sich bei der gewünschten Reaktion »Das hab ich mir doch schon immer gedacht!«. Hier musste man sich eine Behauptung suchen, die gemeinhin als wahr galt, um sie dann aber zu widerlegen. Hierfür bieten sich beliebte Legenden über Berlin an.
    »Die größte Minderheit in Berlin sind natürlich die Türken. Es wird immer wieder behauptet, dass die zweitgrößte Minderheit die Schwaben seien. Das ist allerdings falsch. Die Berliner glauben das aber immer noch, weil sie einen Schwaben nicht von einem Badener, einem Pfälzer oder einem Hessen unterscheiden können.«
    Ein großartiger Satz und außerdem immer für einen Lacher gut, denn viele der Touristen auf dem Schiff kamen aus dem Teil Deutschlands, der in Berlin als Süddeutschland gilt (westlich der Elbe), und kannten den Unterschied zwischen Schwaben und Baden sehr wohl. Außerdem bediente sich dieser Satz einer trinkgeldrelevanten Strategie:

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