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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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Er gab den Touristen das Gefühl, dass sie über einen weit verbreiteten Irrglauben aufgeklärt wurden, sodass sie zu Hause etwas zu erzählen hatten:
    »Wir haben ja auch gelernt, dass das mit den Schwaben gar nicht stimmt. Das hat uns unser Stadtführer erklärt, ein netter junger Ostdeutscher, der wirklich viel wusste. Die sind nämlich gar nicht so faul, wie man immer sagt. Gerade die jungen Leute.«
    So stellte ich mir die Urlaubsberichte fünfzigjähriger Westfalen vor, die nun endlich ihren Abenteuerurlaub durch »die neuen Bundesländer« gemacht hatten und ihre Reise mit einem Berlinbesuch krönten. Manche dieser Touristen behandelten mich, wie sie ihren türkischen Gemüsehändler behandelten: Wie einen nicht besonders intelligenten, aber rechtschaffenen Exoten, mit viel Lächeln und etwas Dutzidutzi. Einer sagte tatsächlich: »Junger Mann, das machen Sie sehr gut. Und Sie sprechen richtig gut Hochdeutsch.«
    Ja. Danke. Dafür musste ich viele Volkshochschulkurse belegen und wurde von meinem Stammeshäuptling des Dorfes verwiesen.
    Ab und zu wurde ich auch gefragt: »Junger Mann, wie können Sie sich das alles nur merken?«
    Tja, wie kann ich mir das merken? Ich habe es halt auswendig gelernt. Warum gerade ein Stadtbilderklärer fürs Auswendiglernen gelobt wurde, erschloss sich mir nicht. Regisseure können den ganzen Faust auswendig. Schauspieler kennen alle Shakespearemonologe, und ein nicht unbeträchtlicher Teil des deutschen Bildungsbürgertums kann sich ausschließlich in Loriot-Zitaten unterhalten. Anscheinend hielten die Touristen einen Stadtbilderklärer für etwas dümmer als einen Schauspieler, einen Regisseur oder einen durchschnittlichen deutschen Bildungsbürger.
    Wenn es um das Verhältnis des Stadtbilderklärers zu Berlin ging, so galt es, die Stadt und ihre Eigenheiten weder in den Himmel zu loben, denn der fragende Nichtberliner könnte sich dadurch herabgewürdigt fühlen, noch auf die Stadt zu fluchen, denn dann fragt sich der Tourist, warum er sich gerade von einem Berlinhasser die Stadt erklären lassen musste. Wenn es darauf ankam, musste man allerdings den Berliner spielen, denn dafür waren die Touristen ja hier.
    Einmal hatte mich ein gutgekleideter Herr um die fünfzig angesprochen, Typ Landnotar.
    »Sagen Sie mal, sind Sie echter Berliner?«
    Eine gefährliche Frage, weil man nie wusste, was dem Frager lieber war. Am besten wählt man hier den Mittelweg.
    »Na ja, meine Familie kommt ursprünglich aus Berlin. Ich habe aber auch eine Zeit lang in Frankfurt am Main gelebt.«
    Das war nicht mal gelogen. Mein Großvater war tatsächlich Berliner. Ich verschwieg, dass der Rest Nordhessen, Thüringer und Steiermärker waren und dass »eine Zeit lang« für die ersten zwanzig Jahre meines Lebens stand.
    »Also eigentlich schon«, sagte der Herr. »Also eigentlich nicht«, hätte ein Berliner gesagt.
    »Ich mag ja die Berliner Schnauze sehr. Meine Frau findet das nicht so toll.«
    »Ach, wissen Sie«, sagte ich diplomatisch, »wenn man einmal gelernt hat, wie man mit den Berlinern umgehen muss, kommt man mit ihnen sehr gut klar.«
    Ein dämlicher Satz. Wenn man einmal gelernt hat, wie man mit russischen Schutzgelderpressern umgehen muss, kommt man bestimmt auch mit denen gut klar.
    »Na ja«, sagte der Landnotar. »Uns hat die Tour auf jeden Fall sehr gut gefallen.«
    »Vielen Dank«, sagte ich mit einem aufrichtigen Lächeln. Subtext: Gab es jetzt Trinkgeld? Oder musste ich noch ein Tänzchen aufführen?
    »Ach, sagen Sie«, sagte der Herr. »Wie kommen wir denn nach Unter den Linden?«
    »Das ist gleich hier vorne. Wenn Sie am Dom links gehen, laufen Sie direkt in die Straße Unter den Linden hinein.«
    »Und wenn wir da weiter geradeaus gehen, ist dann da das Brandenburger Tor?«
    Du hast es nicht anders gewollt:
    »Dit ist da auch, wenn Se nich weiter geradeaus gehen.«
    Der Landnotar lachte. Punkt für mich. Seine Frau verdrehte die Augen. Das Ansageräffchen hatte sein Kunststückchen gemacht und bekam dafür einen Euro fünfzig. Der Anstrengung angemessen, fand ich.
    Der Stadtbilderklärer bewegte sich also zwischen Lehrer, Streicheltier (füttern erlaubt) und Jahrmarktattraktion. Gar nicht so schlecht, dachte ich. Andere Absolventen mussten sich für kein Geld dumm und dämlich arbeiten, ich dagegen erschien erst um zehn zur Arbeit und verdiente die Hälfte meines Geldes schwarz. Dieser Sommer hatte das Potential, ein guter Sommer zu werden.

    ** Dieser Pizzalieferservice

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