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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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wieder abreißen. Braucht auch kein Mensch.«
    »Ach so.«
    »Aber die Vögel rennen da auch noch hin und lassen sich verarschen. Und dann erzählen sie zu Hause, wie viel Ahnung sie hätten und dass sie ja gar nicht so touristisch unterwegs waren wie alle anderen und wie doll sie hinter die Kulissen gekiekt haben. Aber aufm Schiff Bionade saufen, das geht. Und abends schön im Nussbaum oder in der Letzten Instanz Eisbein oder Bulette essen, und das halten sie dann für echtes Berliner Lebensgefühl.«
    »Also, das ist dir zu viel Klischee, oder wie?«
    »Weeß icke, wat dit is.«
    »Stell dir vor, du würdest in Venedig wohnen. Was du da mit Klischeebildern zu kämpfen hättest. Die Amis glauben, dass in Venedig jeder mit der Gondel zur Arbeit fährt.«
    »Berlin hat mehr Brücken als Venedig.«
    »Was hat das denn jetzt damit zu tun?«
    »In Berlin ist es schlimmer.«
    »Glaubst du, die Klischeebilder sind von der Zahl der Brücken abhängig?«
    »Zahl der Brücken abhängig?«
    »Wiederhol doch bitte nicht immer mein Satzende.«
    »Is ja egal. Ich kann Touristen jedenfalls nicht leiden. Also, wenns nach mir ginge, dann wär mir das ja egal, wie viele Touristen aufs Schiff kommen.«
    »Du lebst doch von denen.«
    »Nee, ich leb von der Reederei. Wenn keine Touristen mehr kommen, ist das deren Problem. Nicht meins.«
    »Aber dann muss die Reederei zumachen.«
    »Quatsch! Dann sollen die n Kredit aufnehmen, und ich kann schön alleine mipm Schiff hier immer hoch- und runterfahren. Dann bin ich derjenige, der morgens um elf schon zwei Bier trinkt.«
    »Freu dich doch lieber darüber, dass du mehr weißt, als die je wissen werden.«
    »Wie soll das gehen?«
    »Wenn die dir wirklich so auf die Nerven gehen, dann würde ich mir einfach denken: Na, ihr Vögel. Euch erzählen wir hier schön Mist, und von dem Geld, das ihr dafür bezahlt, kann ich mir mein Auto leisten.«
    »Auto leisten?«, wiederholte Klaus.

Und? Was machst du so?
    Z ufällig traf ich Roland. Eigentlich war ich zum Fußballgucken verabredet. Russland spielte gegen Holland im Viertelfinale der Europameisterschaft, und meine alte Frankfurter Freundin Alice hatte mich und eine Handvoll anderer Freunde in ihre Kreuzberger Wohnung eingeladen. Ich nahm Anna mit.
    »Wusstest du, dass Kleinkinder, die mit ihren Fäkalien spielen, später einmal Porschefahrer oder Bänker werden?«, sagte Anna, als wir über die Wrangelstraße liefen.
    »Wie kommst du denn jetzt darauf?«, fragte ich.
    »Fiel mir nur gerade so ein. Ich hab das neulich irgendwo gelesen.«
    »Und wo soll da der Zusammenhang sein?«
    »Na ja, Exkremente sind ja der erste aus eigener Kraft erworbene Besitz, den ein Mensch hat. Wenn jetzt so ein Kind seine Köttel an die Wand schmiert, dann hat es anscheinend die Veranlagung, seinen Besitz zu zeigen. Es will, dass alle sehen, was es hat.«
    »Auch wenn es stinkt?«
    »Stinken ist egal. Nur selbsterworben muss es sein.«
    »Was du so liest!«
    Wir kamen bei Alice an. In ihrem Wohnzimmer saßen bereits ein paar Leute, die ich alle nicht kannte. Und Roland.
    Alice war die einzige Frankfurterin, deren Freundschaft den Umzug nach Berlin und die anschließende Umbruchs-, Depressions- und Selbstfindungsphase überstanden hatte. Alle anderen Frankfurter, die nach Berlin gekommen waren, hatten einander irgendwann aus den Augen verloren. Jonas hatte sich schnell als partyhoppender und projekteplanender Prenzlauer Berger gefühlt und war bald zu cool, um sich mit alten Frankfurtern abzugeben. Judith hatte begonnen, Ethnologie zu studieren, und ihren Interessenschwerpunkt von deutschen Freunden auf afrikanische Lover verlegt. Und der dicke Henry war völlig von der Bildfläche verschwunden, nachdem er in seiner WG monatelang keine Miete gezahlt, den Eltern seiner Freundin Geld geklaut, alle Freunde um mehrere tausend Euro angepumpt hatte und schließlich in Abwesenheit zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verurteilt wurde. Das Geld hatte er wirklich dringend gebraucht, denn er mochte seine Körperfülle so sehr, dass er alles daransetzte, sie zu halten, weshalb er erst jeden Pfennig und später jeden Cent im Restaurant von Sarah Wiener verfraß, der Grande Dame des Filmcatering. Das Letzte, was man von ihm gehört hatte, war, dass er irgendwo in der Türkei im Strandhotel eines Freundes den ausgestiegenen Künstler spielte. Heute könnte er arm sein, vielleicht aber auch krank oder tot. Mit Sicherheit aber ein Arschloch.
    Roland war ein Vollblutstudent.

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