On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Holländer sahen fast tatenlos zu. Die Flanke kam von links, Pawljutschenko stand vorm Tor, lenkte den Ball mit einer einzigen Fußbewegung um und beförderte ihn damit direkt neben dem völlig überrumpelten Torwart ins Netz. Jubel! Aus Antipathie gegen die niederländische Mannschaft waren alle Anwesenden für Russland, nur Roland war sich da nicht so sicher.
»Ein Nagelstudio«, sagte ich. »Ich hab ein Nagelstudio. Ich bin ins Kosmetikgeschäft eingestiegen und hab sechs Beschäftigte unter mir.«
Rolands Gesichtsausdruck war unbezahlbar. Pawljutschenko rannte jubelnd über den Platz. Die Holländer standen mit hängenden Schultern und waren indigniert, dass der Außenseiter in Führung gegangen war. Torwart van der Sar hatte sein »Ich fass es nicht, verdammte Scheiße«-Gesicht aufgesetzt. Anna, die zwei Meter hinter Roland saß, hatte uns gehört und grinste mich breit an.
»Ah ja«, sagte Roland und gab sich sichtlich Mühe, sein Erstaunen und seine latente Abscheu vor einem Kosmetikberuf hinter gespielter Toleranz zu verstecken. Er musste sich fühlen wie ein Landrassist, der von seiner Tochter ihren neuen ghanaischen Freund mit den Worten vorgestellt bekommt: »Das ist der Mbutu.«
»Ach so, ja … Mensch … Ist ja auch gut, oder?«
»Das ist es«, sagte ich. Obwohl er sichtlich angewidert war, fragte er der Höflichkeit halber nach. Im Fernsehen lief die Zeitlupe des Tors.
»Und wie … wie kamst du dazu? Hast du da so eine Umschulung gemacht?«
»Nix. Ich hab da einen Laden billig aus einer Konkursmasse übernommen. Das war echt ein Spottpreis. Ich hatte noch ein bisschen Geld auf der hohen Kante, und dann hab ich meine Chance ergriffen. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen. Der Erfolg kommt ja nicht von allein. Ich mach da schon hammermäßige Überstunden.«
»Und da feilst du dann Nägel?«
»Ach was, dafür hab ich doch meine Mädels. Die Thailänderinnen, die sind echte Arbeitstiere. Die sind so flink mit ihren Fingern und mucken nie auf. Aber ich bin da echt nicht geizig. Die kriegen auch ihre sieben Euro pro Stunde.«
»Na, das ist ja o.k.«
»Und für die paar alten Damen, die sich von den Thailänderinnen nicht anfassen lassen wollen, haben wir auch noch zwei deutsche Feilerinnen. Gut, die kriegen dann eben elf Euro in der Stunde. Geht ja nicht anders. Weniger kannste heute ja keinem Deutschen mehr anbieten. Dafür gehen die doch nicht arbeiten.«
»Äh ja … das stimmt wohl.«
»Aber das läuft echt gut. Ich mach da nur die Bücher, guck, dass alles seine Richtigkeit hat, und ab und zu greife ich da auch mal ein. Wir werden im Herbst expandieren und den zweiten Laden in Lichterfelde aufmachen. Dann geht es richtig los. Lauter reiche Witwen und kein einziges Nagelstudio in Lichterfelde-West. Was glaubste, was das reinbringt!«
»Ja … na klar … Sicher.«
Weil Roland immer noch unsicher schien, wurde ich etwas konkreter, erzählte ihm von den Feilerinnen Phuong und Lin, die ich ganz gut leiden könne und mit denen ich immer Prosecco tränke, wenn es abends etwas später würde. Auch die Kundinnen tränken dann gern mit und hühnerten herum. So binde man Kundschaft und hätte selber noch seinen Spaß.
Obwohl die Niederländer noch einen Ausgleich durch Strafstoß erzielten, waren die Russen eindeutig die dominierende Mannschaft und schossen in der Verlängerung noch zwei weitere Tore.
Roland schien über meinen Bericht deutlich irritiert. Zu Schulzeiten war ich immer das, was unsere Eltern als »Schluri« bezeichnet hätten. Ich trank gern Bier, wenn es später wurde Wodka, hing im Elfer herum, ließ meine Haare wachsen und hörte Heavy Metal. Nach dem Abitur erfuhr ich, dass ich wegen meines schlurfenden Gangs bei einigen Mädchen den Spitznamen »Neandertaler« hatte. Im Französischleistungskurs, den Roland und ich besuchten, war er der ehrgeizige Musterschüler. Ich dagegen war nie mit der sehr französischen Unterrichtsmethode unserer Lehrerin zurechtgekommen und hatte irgendwann aufgehört, sie verstehen zu wollen.
Ich wusste, dass ich nie eine Führungspersönlichkeit werden würde, dafür schien mir der Preis der Anpassung zu hoch. Außerdem fehlten mir dazu die Fähigkeiten. Roland jedoch hatte beschlossen, ein hohes Tier zu werden, und hatte sich deshalb schon mal den Habitus eines Auskenners und Lenkers angeeignet. Wenn jemand anders mit weniger Arbeit, aber mehr Glück und vor allem Spaß an ihm vorbeizog, konnte er nur irritiert sein. Wahrscheinlich dachte er
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