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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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die Punkkneipe »Elfer« in Frankfurt-Eschersheim betreten hatte. Wenn man dann noch ein gemeinsames Anliegen hat, das mit so viel Emotionalität verbunden ist wie ein Länderspiel, wird aus einer Kneipentischrunde schon mal eine verschworene geheime Bruderschaft. Hier waren wir zwar nicht in einer Kneipe, aber fast jeder Ort fühlt sich am Ende so an, wenn man dort zusammen Fußball sieht: ein Hörsaal, ein privates Wohnzimmer und sicher auch der Auspeitschraum des SM-Studios über meiner Wohnung, von dem ich manchmal sexuell aufgeladenes Gerumpel hörte. Ich machte ein Bier auf und stieß mit Alice an. Neben mir sprach Roland mit einer Frau, die ich nicht kannte.
    »Und, was machst du so? … Ah ja …«
    Es wird mir immer ein Rätsel bleiben, warum Menschen im Smalltalk immer zuerst nach dem Beruf des anderen fragen. Das roch für mich immer nach Standesdünkel. Außerdem sahen wir Fußball, da wird sich doch wohl ein anderes Thema finden lassen. Roland aber schien sich tatsächlich für Berufliches zu interessieren, denn er stieg sofort in das Thema ein:
    »Ich finde schon, dass in einem internationalen Betrieb … kann mir niemand erzählen … wenn man Qualität abliefern soll, dann muss man auch … und das ist das, worauf es ankommt … gerade in unserer Branche …«
    »Ja«, sagte die Frau. » … muss man auch wissen … dann soll niemand behaupten … Verantwortung heißt eben auch … hab ich die Erfahrung gemacht … im Betrieb wie im Privatleben …«
    Im Fernsehen sagte der Kommentator:
    »Hier ist noch nichts entschieden.«
    Was machten die da? Es lief das Viertelfinale, und die beiden hatten nichts Besseres zu tun, als ihre beruflichen Schwänze zu vergleichen. Das Bier ging schnell runter, und es roch auch schon angenehm nach Hanf.
    Das Spiel dümpelte etwas vor sich hin. Die Russen hatten offensichtlich mehr Spaß, während die Niederländer verbissen versuchten, zum Zug zu kommen, und sich dabei aufführten, als seien sie schon Europameister. Fouls gehörten im holländischen Fußball ja ohnehin zur Tradition.
    Neben mir sagte Roland: »Ich habe auch die positiven Seiten der Globalisierung kennengelernt. Wir haben noch ein Büro in Bangladesch. Wenn ich denen abends schreibe, was sie erledigen sollen, dann hab ich das am nächsten Morgen in meinem E-Mail-Eingang.«
    Ein Holländer sprang einem Russen mit den Stollen voran an den Oberschenkel. Der Russe ging zu Boden und krümmte sich.
    »Ich weiß natürlich, dass die für unsere Verhältnisse schlecht bezahlt werden. Aber manche Sachen sind halt so. Was soll ich da als kleiner Unternehmensberater schon machen.«
    Der Holländer stand vor dem Schiedsrichter und machte die achselzuckende »Ich hab nichts gemacht«-Geste. Es gab keine Karte. Ein paar Holländer klopften ihm auf die Schulter, als wollten sie sagen: »Gut gemacht.«
    »Aber meine Kollegen sehen das auch so«, sagte Roland. »Die können doch nicht alle unrecht haben.«
    Nun fiel mir wieder ein, warum ich Roland aus den Augen verloren hatte. Schon in der Zeit, in der wir noch Kontakt hatten, sprach er erst nur über die Schule, dann übers Studium, über Berufsaussichten, Praktika und Auslandsaufenthalte. Später setzte er noch einen Aufbaustudiengang in Sonstwaswissenschaften obendrauf. Ein Mensch, der überall gut funktioniert hatte und über einen sauberen, vorgestanzten Lebenslauf verfügte, mit dem er sich auf saubere, vorgestanzte Jobs bewerben konnte, bei denen er viele saubere, vorgestanzte, aber unbezahlte Überstunden leisten durfte. Und der sich auch noch darüber freute. Das war mir nie ganz halal.
    In der Halbzeitpause machte ich mir ein zweites Bier auf, und Roland sagte, er würde »jetzt dann doch auch mal« ein Bier trinken. Fünfzigste Minute und immer noch kein Tor. Passierte hier noch was? Mit der Frau hatte Roland anscheinend alles Wichtige besprochen und wandte sich zu mir.
    »Und was machst du jetzt so? Museum oder was? Oder Archiv, oder was macht man als Historiker so?«
    Wie ich diese gequälten Smalltalkgespräche hasste. Was hätte ich ihm nun erzählen sollen? Ja, ich habe fertigstudiert, und jetzt bin ich Quatscher auf einem Ausflugsschiff. Ich habe keinen Assistant Manager of Major Cocky-Sucky, mache keinen Urlaub in Indien und habe erst recht keine Meinung zum korrekten Verhalten im Betrieb.
    »Ich hab ein Nagelstudio«, sagte ich.
    »Was hast du?«
    »Achtung!«, sagte ich und zeigte auf den Bildschirm. Russland spielte schnell über außen, und die

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