Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
Vom Netzwerk:
in einem alten Heizkraftwerk in der Nähe des Ostbahnhofs,mit Darkroom und Scheißmusik, wo sich Stylegänger Tinnitus und Gonokokken holen konnten. Nun irrten sie durch Mitte und fanden ihr Hostel nicht wieder. Zur Bekämpfung ihrer Langeweile schrien sie einander so laut an, dass es für mich so klang, als würden sie sich laufend gegenseitig beleidigen. Einer wackelte an Bord und quatschte Klaus an:
    »Eh! Eh, cabrón! Do you have cerveza?«
    »Wat hab ick?«
    Scheiße, Spanier! Der Bootsmann Mike hatte mich schon ein paar Tage zuvor aufgeklärt:
    »Wenn die Lärm machen, sind sie Spanier. Das stimmt in neunzig Prozent der Fälle.«
    Einer lief weiter, wurde aber von einem anderen brüllend zur Rückkehr aufgefordert:
    »Desgraciado, quedate aqui. Estamos en un barco!«
    Oh nein, bitte nicht, dachte ich. Sie jedoch kauften Tickets, wackelten an Bord und bestellten, noch bevor sie sich setzten, fünf Bier. Schulklasse und besoffene Spanier. Wer würde mir in der nächsten Stunde wohl mehr auf die Nerven gehen? Da wünschte ich mir schon fast die russischen Geschäftsleute herbei.
    Für andere wäre die Vorstellung, allein unter Spaniern zu sein, nahe am Paradies. Das war ein größerer Trend unter Berliner Mädchen in den letzten Jahren. Mit zwanzig hatten sie sich überlegt, dass sie ab sofort ein fernes Land toll finden wollten, und Spanien stand auf der Liste der Gutfindländer ganz oben. Sie hatten mal den Film »Vicky Cristina Barcelona« gesehen und waren auf diesen unglaublichen Weichzeichner- und Pastellfarbenkitsch hereingefallen. Hach Kunst, hach Gaudí, hach diese schnuckeligen kleinen Straßencafés. Jetzt wollten sie sich unbedingt auch von einem katalanischen Künstler, der aussah wie Javier Bardem, becircen lassen, um sich dann etwas zieren zu können.
    Die schweren Fälle hatten sich zum Tollfinden einen südamerikanischen Staat mit viel Armut und wenig Hoffnung ausgesucht. Nach dem Abitur hatten sie dort ein halbes oder ganzes Jahr als Entwicklungshelferin oder Englischlehrerin verbracht. Als Konsequenz mussten sie danach Spanisch studieren, Salsa tanzen lernen und guatemaltekisch kochen. Bis hin zu ihren Geschlechtspartnern reichte dieser Exotismus.
    Zugegeben: Ich hatte Anglistik studiert. Aber ich fand England scheiße. In die Häuser regnet es hinein, Schlägerei ist ein Volkssport, und über das Essen ist schon alles gesagt. Warum es außerdem in dem Land, in dem die industrielle Revolution begonnen haben soll, nicht möglich ist, ein Waschbecken mit einem einzigen Wasserhahn auszustatten, statt einen für eiskalt und einen für kochend heiß zu installieren, wird das ewige Geheimnis der Briten bleiben.
    Wir legten ab, ich begrüßte und begann sofort:
    »Rechts das Theater am Schiffbauerdamm. Es wurde berühmt, als hier 1928 die Uraufführung der Dreigroschenoper stattfand.«
    Die Lehrerin drehte sich zu ihrer Klasse um:
    »Das lesen wir im nächsten Halbjahr.«
    Die Schüler stöhnten auf.
    »On the right a theatre, the Theater am Schiffbauerdamm. It became famous in 1928 when Bert Brecht’s play The Three Pennies’ Opera was performed here for the first time.«
    Meine Ansagen schienen die Spanier nicht zu stören, denn sie unterhielten sich weiter in einer Lautstärke, in der man problemlos eine Unterhaltung auf einer madrilenischen Verkehrsinsel in der Hauptverkehrszeit hätte führen können, und ich war mir sicher, dass sie diese Lautstärke auch genau dort erlernt hatten. Ob außer der Lehrerin irgendjemand an Bord überhaupt wusste, wer Bert Brecht war? Eigentlich wäre es nun meine Aufgabe gewesen, die Spanier zur Ruhe zu ermahnen. Ich befürchtete allerdings eine tätliche Auseinandersetzung, denn anscheinend war für sie heute Herrentag. Nur einmal unterbrach ich mitten im Satz meine Ausführungen und sah die Spanier durchdringend an. Einer bemerkte es, stieß seinen Kollegen an, und beide schauten genauso dämlich zurück, wie ich es ihnen vormachte. Dann lachten sie dreckig und redeten weiter:
    »Esta caliente pollas podría haberme llevado a su casa. Las alemanas son unas guarillas.«
    Wie auf einmal eine durchschnittliche Schulklasse in den Hintergrund tritt, sobald fünf Krawallspanier an Bord sind! Warum schrien die denn so? Wenn man die ganze Nacht im Berghain war, wird man wohl taub. Nach dem fünfminütigen Halt am Haus der Kulturen der Welt kam mir eine Idee.
    »Rechts das Kanzleramt, der Kubus in der Mitte ist 36 Meter hoch, und in den Flügeln zur vorderen und zur

Weitere Kostenlose Bücher