On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
dem Bezahlen verplempert man das meiste Geld.«
Die auswendig gelernten Witze sind doch immer noch die besten.
Die Mutter machte keine Anstalten, den pädagogisch falschen Eiskauf zu verhindern. Dafür bildete sich eine deutliche Falte zwischen ihren Augenbrauen.
Die Tochter nahm mit etwas Genugtuung ihr Eis entgegen. Der Vater packte seines aus und aß es mit gespielter Freude. Anscheinend hatte er das Eis nur gekauft, um seine Frau zu ärgern.
Der Vater hatte es aufgegeben, in der Familie etwas erreichen zu wollen. Er hat irgendeine Arbeit, die ihm nach oben und nach unten keinen Raum lässt. Er ist in seinem Betrieb oder seiner Behörde so weit aufgestiegen, wie das für jemanden mit seiner Ausbildung möglich ist, und weiß nun, dass er das Ende der Fahnenstange erreicht hat. Er hält sich dort nicht schlecht, wird aber nicht weiterkommen. Einen anderen Job kann er nicht annehmen, weil er dafür mit der ganzen Familie sein wendländisches Dorf verlassen müsste.
Eigentlich ist ihm alles zu viel. Eine Affäre hat er seit zwei Jahren (Treffen sich zwei Verzweifelte. Sagt die eine: Kommste mit?), aber die geht ihm auch auf den Nerv, und es wäre ihm am liebsten, wenn alle endlich mal den Mund halten würden. Er ist sich sicher, dass seine Frau etwas ahnt, aber ihr ist es lieber, er reagiert sich woanders ab, als dass sie ihn nochmal ranlassen muss.
Nach Hause kommt er ungern, weil da der Terror des Schweigens auf ihn wartet. Deshalb schlägt er die Stunden nach Feierabend mit Arbeitskollegen oder Kneipenbekanntschaften tot, die er eigentlich auch nicht leiden kann, und macht damit den Ärger zu Hause noch größer, minimiert aber die Zeit, die er mit seiner Frau im gleichen Raum zubringen muss. Richtig reden tun sie schon seit Jahren nicht mehr miteinander. Selbst die kleinen Dinge finden ihren Weg oft über einen Umweg über die Tochter. Daheim sagt die Mutter etwa: »Ich muss jetzt erst mal ein paar Stündchen weg, aber wenn du noch zu deiner Freundin willst, dann fährt der Papa dich bestimmt hin und holt dich heute Abend auch wieder ab.«
Vielleicht hatten sie auch nie richtig miteinander geredet. Das Leben ging seinen Gang. Man machte eine Ausbildung, fing an zu arbeiten, heiratete, bekam Kinder, zog in ein Eigenheim. So war das eben. So hatten das alle gemacht. Da kam man nicht so einfach raus. Und warum auch? Was wäre denn woanders besser gewesen?
Den Rückzug seiner Frau ins innere Exil und ihre vorgestellte Selbstbestimmung hatte er natürlich bemerkt. Beides missfiel ihm, er hielt es aber für einen vorübergehenden Nebeneffekt der Trauer um ihre Mutter und kümmerte sich zunächst nicht weiter darum. Einmal hatte er sie auf ihre Veränderung angesprochen. Da war er schon etwas angetrunken, und sie hatte automatisch die schützende Verweigerungshaltung eingenommen. Er hatte sogar von Liebe, Ehe und so Zeug gesprochen, aber das wollte sie gar nicht hören. Es blieb der einzige Versuch. Er hatte sich schneller an die neue Situation gewöhnt, als er dachte.
Nun nahm er die gleiche Haltung ein wie seine Frau. Wenn ihr alles egal war und sie sich eigentlich nicht mehr für ihn interessierte, dann konnte er das ja genauso machen. Er konnte abends spät nach Hause kommen, die Abende vor dem Fernseher verbringen und die Witze machen, die sie so hasste. Das ärgerte seine Frau, und er wusste das. Aber wenn sie ein Problem hatte, dann musste sie den Mund aufmachen. Deshalb gab es für die Tochter und ihn jetzt eben auch ein Eis.
Die Mutter war sauer, sagte aber mal wieder nichts.
Wir fuhren, ich redete und schaute ab und zu zu der Familie hinüber. Finanziell gesichertes Elend. Ab und zu sagte die Tochter etwas, was ich aber nicht verstand. Die Mutter dagegen konnte ich bis vorne hören.
»Du gibst jetzt Ruhe. Der Mann da vorne erklärt gerade was.«
Sie war wirklich sauer.
»Du hast doch jetzt dein Eis bekommen. Was willst du denn noch?«
Die Tochter bekam ab, was eigentlich für den Vater bestimmt war.
Als die Entfremdung ihrer Eltern begann, war sie in einem Alter, in dem man noch jedes Ereignis als normal und gegeben hinnimmt. So ist das also: Wenn man sieben ist, mögen die Eltern einander nicht mehr.
Langsam ahnt sie, dass sie es zu Hause nicht mehr lange aushalten wird. Sie wird auf dem Landgymnasium, das sie besucht, Abitur machen und dann schleunigst wegziehen. Fluchen wird sie auf ihre wendländische Heimat mit ihren verschlossenen Gartenpforten und Herzen. Erst wird sie mit einer
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