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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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Hilfsorganisation nach Südamerika oder Afrika gehen und dort ihrem ersten Schwarzen oder Indio in freier Wildbahn begegnen. Auf ihrer Stirn wird groß »Toleranz« stehen. Nach ihrer Südamerika-Welt-Selbsterfahrung wird sie nach Berlin ziehen, wo sie in ihrer ersten WG -Wohnung eine Weltkarte falsch herum aufhängt und zu jedem Besucher sagt: »Die hängt hier so, damit man mal einen anderen Blick auf die Welt bekommt.« Sie wird irgendetwas studieren, Ethnologie oder Sozialwissenschaften, wird aber abbrechen, weil ihr das alles »zu verkopft« ist. Beim Salsatanzen oder bei einer NGO wird sie »den Diego« kennenlernen, einen Kolumbianer, der als Arbeiter nach Berlin kam und nun illegal bleibt. Sie werden ein Paar, und sie entwickelt mütterliche Gefühle für ihn, was bei ihr aber heißt, dass sie so dominant und bestimmend wird, wie ihre eigene Mutter es ihr beigebracht hat. »Der Diego muss jetzt endlich mal aufs Amt und sich anmelden. Der Diego muss sich mal um eine Arbeit bemühen. Der Diego sollte langsam mal richtig Deutsch lernen.« Wenn der Diego schlau ist, nimmt er die Beine in die Hand und sucht sich jemanden, der ihn ernst nimmt. Allerdings ist seine wendländische Freundin die Einzige, die sich bemüht, ihm zu einer legalen und ordentlichen Existenz in Europa zu verhelfen. Dafür ist er dankbar, deshalb bleibt er, und seine Freundin kann ihn weiterhin als ihr persönliches Drittwelthilfsprojekt behandeln.
    Irgendwann wird sie von Diego schwanger werden. Er sieht das als letzten Grund, sich aus dem Staub zu machen. Für den Rest ihres Lebens wird sie glauben, Diego hätte die Verantwortung gescheut und wollte seine männlichen Freiheiten nicht verlieren. Sie wird einen Hass auf Männer entwickeln, in einem Hausprojekt mit anderen Frauen mit ähnlichen Erfahrungen zusammenziehen, kannenweise grünen Tee trinken und schließlich eine Beziehung mit einer Frau eingehen. Dass ihr Kind ein Junge geworden ist, macht sie nicht gerade glücklich, aber wenigstens hat sie so ein weiteres Hilfsprojekt, mit dessen Hilfe sie sich selbst verwirklichen kann.
    Wenn ihr Mittzwanziger-Ich hätte sehen können, was mir da gerade alles über sie und ihre Familie durch den Kopf schoss, hätte sie die Augenbrauen zusammengekniffen und gesagt: »Wie du die Menschen in Kategorien einteilst, dis find ich wirklich furchtbar.«
    »Meine Damen und Herren, in der dritten Reihe am Gang sehen Sie die Zukunft der emotionalen Verwahrlosung.«
    Am Schluss der Tour ging eine schlechtgelaunte dreiköpfige Familie von Bord. Der Vater gab mir zwei Euro Trinkgeld und bedankte sich sogar.

Feierabendschnaps
    I mmer noch war Martin der einzige Stadtbilderklärerkollege, den ich kannte. Ab und zu tauchte er auf und fuhr eine Tour mit, oder er stand mit mir eine Pause lang am Kai, und wir redeten angenehm dummes Zeug.
    Es war kurz vor sechs, Martin hatte seine letzte Tour schon hinter sich und wollte noch eine Runde bei mir mitfahren. Er war schon im Feierabendmodus.
    »Ich könnte eigentlich schon mal einen Schnaps vertragen«, sagte er. »Willst du auch einen?«
    »Uff. Jetzt schon Schnaps trinken?«, sagte ich.
    »Ach komm! Sommer, Sonne, Schnaps und schnafte Schnecken.«
    »Und dann hier vor den Gästen, wie sieht das denn aus?«
    »Das geht schon«, sagte Martin. »Man braucht dafür nur einen guten Anlass. Pass mal auf!«
    Martin stand auf und sprach ins Mikrofon:
    »Also Genossen, mir ist das hier also mitgeteilt worden, dass eine solche Mitteilung heute schon verbreitet worden ist, sie müsste eigentlich in Ihrem Besitz sein. Also, private Schiffsreisen über die Spree können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reiseanlässen oder Verwandtschaftsverhältnissen beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen der Reederei Kreuz und Krone sind angewiesen, Tickets zur einstündigen Rundfahrt durch die historische Mitte und das Regierungsviertel unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch die Voraussetzungen für eine Rundfahrt vorliegen müssen. Abfahrten können über alle Anlegestellen der Reederei Kreuz und Krone in Richtung Westberlin erfolgen.«
    Die meisten Passagiere reagierten überhaupt nicht, einigen konnte man am Gesichtsausdruck ansehen, dass sie sich fragten, was der Quatscher da vorne für ein Zeug faselt. Zwei oder drei Passagiere jedoch grinsten.
    »Text?«, fragte Martin in die Runde.
    In den mittleren Reihen stand ein Mann auf und rief:
    »Wann tritt das in

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