On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
erst einmal spricht, ziehen dunkle Wolken auf. Er kultiviert seine phonetische Ignoranz: Egal in welcher Fremdsprache er sich zu artikulieren versucht, er wird sich nicht die Mühe machen, seine Aussprache anzugleichen. Alles wird stramm auf der letzten Silbe betont, das ö hat gegenüber dem e unbedingte Vorfahrt, und der Unterschied zwischen r und ch wird dem Franzosen auf ewig verborgen bleiben. Er sagt »normal«, wenn er »nochmal« meint, geht nicht zum Arzt, sondern zum »Achß« und liest dort im Wartezimmer ein »Burr«. In Wahrheit kann er überhaupt keine Fremdsprachen, und wenn er Englisch oder Deutsch spricht, spricht er eigentlich nur Französisch mit anderen Worten.
Ich hatte einst eine Französischlehrerin namens Mulch. Als ich bei einem Austausch meinen Gasteltern sagte, dass meine Lehrerin eben so hieße, korrigierten sie mich: In Frankreich hieße diese Frau nicht Mulch, sondern Mülsch. Im bretonischen Vannes fragte ich mehrere Passanten nach dem nächsten McDonald’s und erntete nur Achselzucken. Erst der vierte oder fünfte verstand, dass ich zu Maggdonáld wollte. Das bekannteste Werk der deutschen Dramatik heißt für den Franzosen immer noch »Foost« und sein Autor »Gött«.
Aus Trotz gegenüber diesem phonetischen Alleinvertretungsanspruch der französischen Sprache bemühte ich mich, meine französische Aussprache so zu perfektionieren, dass ich als Franzose durchgehen konnte. Nun hielt man mich in Frankreich allerdings nicht mehr für einen Ausländer, sondern für einen Bekloppten. Wer akzentfrei nach dem Weg zum Bahnhof fragen kann, aber auf die Nachfrage, welchen von den fünfen er denn meine, wegen Mangels an Vokabeln nur Unzusammenhängendes vor sich hin stammeln kann, sollte besser gleich nur in seiner Muttersprache »Bahnhof! Bahnhof!« schreien, dabei »Tuut! Tuut!« machen und wild gestikulierend einen Zug darstellen.
Auch mit Land und Leuten stand ich irgendwann auf Kriegsfuß. Als Kind war ich mit meinen Eltern oft zum Urlaub in Frankreich, und das Land stand für draußen gut essen, drinnen gut schlafen, im Wasser gut schwimmen, am Strand gut sonnen und auf Unisextoiletten in Löcher im Boden kacken. In der neunten Klasse aber fuhren alle Französischklassen zu einem Austausch nach Nantes nahe der Loiremündung, um dort zwei Wochen die Schule zu besuchen. Was mir eigentlich Frankreich hätte näherbringen sollen, rückte es in eine solch weite Ferne, dass ich fortan auf alles Französische fluchte. So muss es in preußischen Kadettenanstalten zugegangen sein. Im Prinzip war den Schülern alles verboten: Rucksäcke statt Ranzen zu tragen, auf der Lehne statt auf der Sitzfläche der Bank im Hof zu sitzen, einander auf den Mund zu küssen, und wahrscheinlich wären auch Unterhaltungen über bestimmte Themen verboten gewesen, wenn das Schulpersonal die technischen Möglichkeiten zur Überwachung gehabt hätte. Weil die Schule bis 17:00 Uhr ging, musste man mittags in der Kantine essen, wo es das gab, was es bis heute in jeder französischen Kantine gibt: labbrige Pommes und Steak haché und Fisch für die Vegetarier.
An jeder Schule gab es Aufpasser, die sogenannten Surveillants, die für die Einhaltung der Regeln zu sorgen hatten. Sie waren Studenten oder Rentner, und ihr Motiv für dieses Amt war meist Rache für einst erlebte Schikanen: Die Studenten verarbeiteten ihre Erfahrungen aus der Schulzeit, die Rentner den Krieg, weshalb sie sich immer besonders über deutsche Austauschschüler freuten. Die Schulen sahen aus wie Gefängnisse, denn es gab nur Innenhöfe, auf denen man in der Pause im Kreis laufen durfte. Niemand konnte von draußen hinein-, niemand von drinnen hinaussehen. Wenn die Tür des Klassenzimmers aufging, hatten sich alle Schüler zu erheben. Zu jedem Stundenbeginn und -schluss erklang eine schrille Glocke. Wer zu spät kam, durfte nicht einfach in seine Klasse, sondern musste im Sekretariat über seine Verspätung Rechenschaft ablegen. Kein deutscher Schulleiter hätte sich das getraut, was in Frankreich üblich war, denn er hätte sich nicht nachsagen lassen wollen, dass in seiner Schule eine Disziplin herrschte wie in einer preußischen Kadettenanstalt.
Auch die französischen Schüler kamen mir nicht ganz koscher vor. Unsere Austauschpartner waren alle ein Jahr jünger als wir, und so hielten wir die Franzosen generell für ein bisschen zurückgeblieben und langweilig. Vom dauernden Kantinenessen war der durchschnittliche französische Jugendliche
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