On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
auch nicht gerade kräftig. Das alles hatte zur Folge, dass mir der Franzose wie ein unselbständiger Knecht des Schweineschulsystems vorkam, der schlecht ernährt, schmächtig und schwächlich die Richtigkeit des berühmten Homer-Simpson-Zitats bewies: »Ich bin nur zwei Tage von zu Hause weg und schon hässlich wie ein Franzose.« Es bedurfte einer gewonnenen Fußballweltmeisterschaft und einer gewonnenen Fußballeuropameisterschaft, deren Endspiele ich beide in Frankreich erleben durfte, bis mir das Land allmählich wieder ans Herz wuchs.
In der elften Klasse machte ich einen Fehler: Ich wählte Französisch als Leistungskurs. Ich musste wohl auf meine passablen Noten hereingefallen sein, die allerdings nur auf meine schriftlichen Leistungen zurückzuführen waren. Wenn ich auf Französisch angesprochen wurde, stotterte ich immer noch wie ein deutscher Tourist, der von einem Gendarmen beim öffentlichen Urinieren erwischt wurde.
So kam die Oberstufe, und ich erlebte mein Verdun. Meine Lehrerin Frau Schneider-Meulière war ein französischer Drachen in Lehrergestalt: immer sehr darauf erpicht, ihre Schüler beim Faulsein zu erwischen, immer die Hand am Hausaufgabenbajonett, immer bereit zum Sturm auf die Bastille des Schülerselbstvertrauens. Vor Französischstunden fühlte ich mich, als würde ich gleich zur Guillotine geführt werden.
Ihre Unterrichtsmethode war die französische, und die hieß: Die Lehrerin hat recht. Sie hatte sich zu Hause Fragen und richtige Antworten überlegt und hatte alles schon mal in ein Tafelbild, Schema oder »organigramme« gemalt. Im Unterricht mussten die Schüler nun raten, welche Antworten die Lehrerin hören wollte, damit sie ihr vorbereitetes Schema vollständig an der Tafel aufmalen konnte. Wenn die Schüler, dieses faule, unbegabte Pack, nicht das eine richtige Wort sagten, wurde sie sauer. Für uns war es ein wildes Stochern im Ungefähren, ähnlich wie Schiffe versenken. Andere Lehrer, wie etwa mein Deutschlehrer Herr Steier, traten mit ihren Schülern in Dialog, wollten wissen, wie sie dieses oder jenes bewerteten und interpretierten,wussten, dass es andere Sichtweisen gab als ihre eigene, und interessierten sich sogar dafür. In der französischen Methode hatte Dialog keinen Platz. Die französische Literaturinterpretation machte man nicht selbst, man lernte sie auswendig, und wenn der Lehrer sie nicht vorgab, stand sie in den Heften »Profil d’une œuvre« des Verlages Hatier. Absicht des Autors, Doppelpunkt. Wer anderer Meinung war, hatte eben unrecht. Diskussion war sinnlos. Frau Schneider-Meulière kannte die Wahrheit und wunderte sich darüber, dass wir sie nicht erkannten.
Um mich und mein Abitur zu retten, tat ich das Einzige, was mich nicht in direkten Konflikt mit ihrer Unfehlbarkeit brachte: Ich lernte weiter auswendig. Frau Schneider-Meulière teilte gerne Blätter mit gut klingenden Versatzstücken aus, die man im geschriebenen Französisch anbringen sollte: »Meiner Meinung nach«, »erstens, zweitens, drittens«, »zunächst sei festzuhalten«, »außerdem lässt sich konstatieren« und so weiter. Damit konnte ich meine Stilnote etwas nach oben ziehen, und für die Inhaltsnote gab es die »Profil d’une œuvre«-Hefte, aus denen ich mir ebenfalls gut klingende Sätze klaute, dementsprechend aber nur auf bestimmte Fragen antworten konnte: »Das Selbstverständnis Guy de Maupassants als Naturalist manifestiert sich nicht zuletzt in seinen knappen Figurenbeschreibungen.« Super Satz, aber leider nur für schriftliche Arbeiten über Maupassant gedacht und als Antwort auf die Frage »Und, wie geht es dir so?« völlig ungeeignet.
Das Abitur bestand ich mit einer passablen Note. Ich konnte nun auf Französisch über Zola und Voltaire schreiben, aber kein Baguette kaufen. Es war im Strandurlaub am Atlantik: Meine Freunde hatten mich zum Einkaufen geschickt, weil ich angeblich derjenige war, der am besten Französisch sprach. Ich stand beim Bäcker, sagte »Une baguette, s’il vous plaît«, und der Bäcker antwortete: »Une baguette for you, Mister. Nö pröblemm, here you are, zat’s one Öro fifty, pliess.«
Damit war klar: Die französische Sprache war für mich so tot wie Danton.
Natürlich hatte ich die Touristin verstanden. Aber wie hätte ich ihr antworten sollen? Höchstens mit den Versatzstücken aus Frau Schneider-Meulières Stilblättern: »Meiner Meinung nach«, »die Erklärungen betreffend kann man festhalten«, »unter dem Gesichtspunkt
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