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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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sehen bekam: ein freudloser Arbeitstrottel, der die Welt an sich vorbeifahren lässt und ab und zu mal draufzeigt. Ich geh »auf Arbeit«, dann nach Hause und vielleicht vorher noch ins Fitnessstudio. Wenn meine Freunde anrufen und mich zum Bier überreden wollen, sag ich, ich muss morgen wieder früh raus. So werden die Freunde auch weniger, was auch gar nicht so schlimm ist, denn dann rufen die nicht dauernd an und wollen Bier trinken gehen. Man wird ja auch älter. Bloß keinen Stress. Letztes Jahr war schon genug Stress mit dem Umzug, und dann musste auch noch der Wagen zur Reparatur. Ich hätte gern einfach mal ein Jahr, wo nix is.
    Hobbys? Solarium. Leidenschaften? »Äh … Leidenschaften? Ja gut, ich sach mal, ich hab halt nicht so viel Zeit, auch wegen der Arbeit und so … äh …«
    Solche Menschen antworten auf die Frage nach ihrem Musikgeschmack mit »Ach, eigentlich alles«, sie streiten sich mit anderen Dumpflingen darüber, ob es jetzt Viertel nach neun oder viertel zehn heißt, und können darüber richtig sauer werden. Sie verschenken Lebkuchenherzen mit »Hab dich lieb« darauf, denn selbst können sie das nicht sagen, und müssen deshalb die Süßwarenindustrie um Hilfe bitten. Sonntags wird Tatort geguckt, und wenn die Welt einstürzt. Sex gibt es samstags, und zwar mit Handtuch Drunterlegen, damit man nicht gleich alles neu beziehen muss. Aber ab und zu gehen wir auch mal aus. Ins Kino. Keinohrhasen , den fanden wir wirklich gut. Das war so für uns, sag ich mal, die perfekte Mischung aus ernst und lustig. Wir haben uns jetzt so einen Blu-ray-Player gekauft. Da müssen wir zum Filmgucken gar nicht mehr aus dem Haus. Toll, was?
    Manchmal gehen wir aber auch schön essen. Beim Gianni *** ist es gut, da gehen wir ab jetzt immer hin. Was hattest du beim letzten Mal, Schatz? Ach ja, die Pizza Quattro Stagioni. Und war die gut? Ich glaube, ich nehme jetzt mal die Capricciosa **** . Und dann beim nächsten Mal erst die Penne. Oder soll ich jetzt schon die Penne? Pass auf, du nimmst die Penne und ich … Du kannst ja auch etwas von mir probieren, Schatz. Nein, das mit dem Carpaccio ***** , das … ach nein, nein. So rohes Fleisch, da weiß man ja nie so genau. Und dann beim Italiener. Also, nichts gegen den Gianni ****** , aber … Na ja, du weißt schon.
    Bloß nichts Unvorhergesehenes, bloß nichts Spontanes. »Ich hab noch eine extra Unterhose eingepackt, falls wir mal in einen Platzregen kommen.« Das wäre natürlich ganz schlimm: zehn Tage Dänemark und dann eine Unterhose zu wenig. So seht ihr aus!
    Mario Barth füllt mit diesen Menschen Stadien. Er kaut ihnen ihr eigenes langweiliges Leben nochmal vor, und sie freuen sich sogar darüber, denn dann müssen sie sich nicht in eine andere Welt hineinfühlen. Eigentlich müsste man Mario Barth dankbar sein, denn er zeigt uns, wie viele Menschen ihn tatsächlich gut finden und tatsächlich ein Leben leben, das aus nicht mehr besteht als »meine Arbeit, meine Freundin, mein Flachbildfernseher«. Eigentlich ist Barth eine Art Günter Wallraff, er merkt es nur nicht.
    Anna saß in der Küche und aß ihr übliches Abendbrot: Salat und Vollkornbrot mit Käse und Tomatenmark. Ich nahm eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank und goss uns zwei Gläser ein.
    »Na, was ist los?«, fragte sie.
    »Anna, glaubst du, man wird von Arbeit dumm?«
    »Dann müsste ich ja schon ganz schön dumm sein.«
    »Gut, du jetzt nicht. Aber stell dir mal vor, du hast einen Bürojob, in dem du jeden Tag von neun bis fünf mit denselben Pfeifen zusammen bist: so Mickey-Mouse-Krawattenträger. Und der Chef lässt keine Gelegenheit aus, einen dämlichen Wortwitz zu machen. ›Buon giorno, John Porno‹ und so ein Zeug.«
    »Ich glaube, du hast ein bisschen zu viel Stromberg gesehen.«
    »Aber da ist doch was dran. In so einem Job musst du doch zwangsläufig sozial verdummen, wenn du nicht zum Amokläufer werden willst.«
    »Mein erster Chef hat immer gesagt ›Geld spielt keine Rolex‹.«
    »Förchterlich!«
    »Ja, schon. Aber es hat ja auch nicht jeder eine Meise.«
    »Egal. Selbst wenn du mit relativ normalen Leuten arbeitest: Abends bist du zu müde für irgendetwas, und dann hängst du dich vor den Fernseher, und spätestens da verdummst du auch mental.«
    »Aber dann müssten ja fast alle dumm sein. Zumindest alle, die Arbeit haben.«
    »Sag ich doch.«
    »Ach was! Ich glaube, da übertreibst du ein bisschen.«
    »Du umgibst dich ja auch mit lebendigen Menschen, du

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