On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Zwischending? Sag mir einfach, wo du gern hingehst.«
»Ich geh zum Beispiel ganz gerne ins Black Death, das ist ein Rockschuppen. Ist aber ein bisschen aufgestylt. Mit Burgerrestaurant und Tattoostudio und so Zeug.«
»Das klingt doch gut«, sagte er.
Ich erklärte ihm, wie er hinkommt, sagte ihm, dass ich wahrscheinlich auch da sein würde, und wünschte einen schönen Tag. Dafür hätte er mir ruhig mal zwei Euro Trinkgeld geben können, dachte ich. Obwohl er eigentlich nicht wie ein Trinkgeldgeber aussah. Wer Trinkgeld gibt, bestätigt damit das Diener-Herr-Verhältnis, und er machte nicht den Eindruck, als wollte er eins von beiden sein. Das Dienstleister-Dienstempfänger-Verhältnis war schon mit dem Fahrpreis zustande gekommen, Trinkgeld aber gibt man aus eigener Milde und Freigiebigkeit – wie Almosen. Der Stadtbilderklärer kann das sehr gut verkraften, denn zum einen kann er das Geld gut gebrauchen. Zum anderen weiß er, dass er selbst der geistige und wissensmäßige Herr bleibt: Das ist hier meine Stadt, das ist mein Text und mein Schiff.
Ich rief Anna an.
»Anna, Mausi! Was habt ihr denn heute im Black Death?«
»Da ist heute Running Free Club. Rock und Metal Klassiker. Ich hab heute auch Schicht.«
»Na super. Kannst du mich auf die Liste setzen?«
»Wird gemacht«, sagte Anna. »Aber sag mal hallo. Ich freu mich.«
»Ich auch, bis dann!«
Running Free Club, wunderbar. Den Flyer für diese Veranstaltung fand ich schon immer geil, denn er war mit einem Ankündigungstext im geraden 4/4-Takt versehen: »Rock music, live bands, naked chicks in cages, burgers and beer«. Männerunterhaltung.
Als ich nach Hause kam, war Anna schon weg. Ich aß, legte mich nochmal für ein Stündchen aufs Ohr und fuhr gegen zehn ins Black Death.
Es war mäßig gefüllt, der Abend war gerade am Anrollen. Ich setzte mich an die Bar und bestellte ein Bier. Ich hatte kaum zwei Schluck getrunken, da tauchte auch schon der Typ vom Nachmittag auf. Ich nickte ihm höflich, aber unverbindlich zu. Er aber kam direkt zu mir, als wären wir verabredet gewesen. Erwartete er jetzt etwa, dass ich ihn den Rest des Abends unterhielt? Ich hatte die Stadtführerei eigentlich nicht als Fulltimejob gemeint.
Er legte sofort los:
»Ich bin hier gerade aus der U-Bahn gestiegen, und direkt neben dem Eingang hat so ein Typ gestanden und in die Ecke gepisst. Und dann guck ich hin, und es war Matthias Matussek.«
»Nein!«
»Ich schwöre, dass er das war. Hundertprozentig.«
»Da hättest du dir ja mal ein Autogramm geben lassen können.«
»Klar! Er steht da und lässt es laufen, und ich halte ihm einen Zettel unter die Nase und sage: Ach, Herr Matussek, könnten Sie hier mal gerade? Das wäre sehr freundlich.«
»Nein, du hättest ein Foto machen sollen, wie er pisst, und ihn dann nach seiner Privatadresse fragen sollen. Wenn Sie dieses Foto für mich signieren könnten, Herr Matussek? Ich schicke es Ihnen zu, mit frankiertem Rückumschlag, und Sie schicken es mir signiert zurück.«
Üblicherweise sind mir Menschen, die direkt auf mich zugehen, nicht ganz geheuer. Die können ja nicht mehr alle Lamellen an der Jalousie haben. Haben die noch nie eine rüde Abfuhr kassiert? Höfliches Desinteresse lautet das Gebot. Die Krankheiten der Großstadt hatten auch mich befallen: Besser erst mal abweisend sein und ganz arg beschäftigt tun, denn man weiß ja nicht, was die Menschen von einem wollen. Freundlich sein kann ich ja später immer noch.
Er hatte offenbar keine Meise, sondern redete nur gern, aber im Unterschied zu den meisten, die gern reden, nicht nur Stuss oder Verschwörungstheorien. Er hieß Karl, war 45 und kam aus Köln. Eigentlich war er Architekt, arbeitete aber nur projektweise, wenn er mal wieder dringend Geld brauchte. Sonst arbeitete er in einer Kölner Bar, schraubte an seinem alten Triumph herum und spielte ab und zu Jazzgitarre oder Mundharmonika auf kleinen Veranstaltungen. Außerdem fuhr er gern durch Deutschland, wenn er einen Anlass dazu hatte. In Berlin war er, weil es hier einen Autoteilehändler gab, der ihm bestimmte Teile für seinen Triumph liefern konnte, für die sich Triumphisten in ganz Europa ein Bein absägen würden.
Wenn er in einer fremden Stadt sei, erklärte er, würde er es nicht übers Herz bringen, einfach nur dort einen Job zu erledigen und dann wieder wegzufahren. Städte wollten erlaufen, erlebt und ertrunken werden. In Berlin sei er noch nie gewesen, was ihm zugegebenermaßen etwas
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