On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
tschüss.
Sofort setzte er sich wieder und daddelte weiter.
»Schüss, Karl.«
»Hey, tschüss, Mann!«, sagte er und umarmte mich. »Vielleicht sehen wir uns mal wieder. Ich weiß ja jetzt, wo ich dich finde.«
»Facebook«, lallte ich.
Als ich aus der Tür ging, rief mir der Concierge hinterher:
»Hey, das Jackett bleibt aber hier, junger Mann.«
Junger Mann, junger Mann. Mit Lemmy war man noch »Sir«, jetzt war ich wieder nur noch »junger Mann«. Schiebt euch das sonst wo hin, ihr Schleimer. Ich bin fast dreißig, trotzdem mache ich einen Nebenjob als Hauptjob, wohne immer noch in einer siffigen Wohngemeinschaft, und wenn ich mir ein Abendessen für sieben Euro leiste, ist das schon Luxus. Bald werde ich arbeitslos sein, keine Aussichten haben und eine dieser Spielbankgestalten werden. Geld von meinen Eltern geklaut, Auto meiner Schwester zu Schrott gefahren, Frau des Nachbarn gebumst. Aber Schuld sind immer alle anderen.
»Bitte sehr, mittelalter Mann«, lallte ich und reichte ihm das Jackett. »Schüss!«
»Auf Wiedersehen und guten Abend!«
Der Tag danach
A m nächsten Tag wachte ich mit einem furchtbaren Schädel auf. Halb zehn. Scheiße, ich musste los. Ich sprang in meine noch nach Rauch stinkenden Klamotten und schwang mich aufs Fahrrad. Beim Bäcker trank ich noch einen schnellen Kaffee und aß ein Schokocroissant, damit ich wenigstens schon etwas im Magen hatte und halbwegs betriebsbereit war. Als ich am Palast vom Fahrrad stieg, fühlte ich mich, als wäre ich aus Gummi. Ich schwitzte, mir war schwindelig. Mein Kopf war eine viertelvolle Bierflasche mit darin schwimmenden Zigarettenstummeln, auf die die Sonne donnerte und die Suppe zum Gären brachte. Mehr wackelnd als gehend legte ich die letzten Meter zum Schiff zurück. Es war halb elf. Der Bootsmann, dessen Namen ich immer noch nicht kannte, hatte schon losgemacht und wollte gerade den Steg einholen.
»Mensch, wo bleibst denn du, Alter?«, rief er, als er mich sah. Dabei klatschte er in die Hände, als wolle er eine Horde Grundschüler zum schnellen Überqueren einer Ampel mit kurzer Grünphase auffordern. »Nu mach hinne, wir legen ab.«
Ich stammelte ein paar Entschuldigungen hin und ging an Bord. Zum Glück hatten die Kollegen das Mikrofon schon angestöpselt. Ich hetzte auf meinen Platz und begann völlig außer Atem mit meiner Begrüßung.
»Guten Tag, meine Damunterrn. Herzlich willkommen an Bord unseres …«
Die Welt machte einen Schlenker. Oh Gott! Wasser!
Ein Gast in der ersten Reihe grinste mich an:
»Na? Gerade aufgestanden?«
»Nee. Ich komme gerade von meinem Nachtjob.«
Habe ich das gesagt? Der Tourist machte ein Gesicht, als wollte er sagen: »Oh, das nenne ich Einsatz, junger Mann.«
»Herzlich willkommen an Bord. Ich darf Sie zu Anfang bitten sitzen zu bleiben. Wir passieren ein paar sehr hohe Brücken, und da wäre es doch schade, wenn Sie sich den Kopf stoßen würden.«
Irgendjemand kicherte.
»Habe ich hohe Brücken gesagt? Niedrige meine ich. Wir passieren ein paar niedrige Brücken, also Vorsicht mit dem Kopf, ja?«
Noch mehr Gekicher.
»La’sangentlemen, please stay seated. We will pass some very low bridges an’ I don’ wan’ you to hurt yourselves. Sangyou.«
Wie sollte ich das aushalten?
»Links das Nikolaiviertel. Es ist 368 Meter hoch und dreht sich zwei Mal pro Stunde … Quatsch! Äh … hier wurde Berlin gegründet, und zwar im Jahr …«
Konzentrier dich, verflucht!
»Im Jahr 1237. Nee, also … das ist ein bisschen kompliziert. Rechts ist Cölln, das wurde 1237 erstmals urkundlich erwähnt. Links ist Berlin, erste Erwähnung 1244. Später hat man dann beides zusammengelegt, deswegen halt 1237. Klar?«
»Köln, wieso denn Köln?«, sagte jemand.
»Nein, das stimmt wirklich. Cölln. Mit C und Doppel-L. Das hieß so. Echt jetzt.«
Vor der Mühlendammschleuse wendete das Schiff. Nein! Bitte nicht drehen! Ich nahm die Hand vor die Augen, sah nach unten und musste mich sehr darauf konzentrieren, mich nicht aufs Deck zu erbrechen. Einatmen – ausatmen!
Am Palast ratterte der Abriss. Müsst ihr ausgerechnet heute so einen Lärm machen? Ihr hattet doch den ganzen Sommer dafür Zeit.
Wir unterquerten die Friedrichstraße. Was kam eigentlich an dieser Stelle? Was steht hier nochmal rum? Oh, diese Sonne, furchtbar steigt sie mir empor! Ach ja!
»Rechts das Berliner Ensemble. Hier hat Brecht gearbeitet. Dreigroschenoper und so. Das war hier. On the right Berliner Ensemble. This was
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