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Ondragon - Menschenhunger

Ondragon - Menschenhunger

Titel: Ondragon - Menschenhunger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strohmeyer Anette
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hergerissen zwischen Belustigung und schleichendem Grauen. Einerseits wollte er es nicht wahrhaben, dass dieser Wendigo tatsächlich existierte, andererseits schien es hier Menschen zu geben, die wirklich daran glaubten. Es war also durchaus möglich, dass in diesem Wald etwas umging, das nicht mit normalen Maßstäben gemessen werden konnte. Vielleicht war es ein Sasquatch, einer von diesen Waldhalbmenschen, die mit dem Yeti verwandt waren, oder ein Bigfoot. Solche Geschichten generierten sich ja immer wieder. Schließlich gab es auch Menschen, die behaupteten, sie seien von Aliens entführt worden. Es konnte sich hier also auch um eine Mischung aus Halluzinationen und Aberglauben handeln - die Indianer konsumierten bei ihren Zeremonien bestimmt Drogen wie Peyote oder Wysoccan, das aus der Stechapfelpflanze gewonnen wurde. Beides besaß eine starke bewusstseinserweiternde Wirkung, die einen Menschen schon mal etwas sehen lassen konnten, das lediglich seiner Einbildung entsprang. Nicht zuletzt erhielten indianische Initiationsriten, wie der Sonnentanz und die Visionssuche, dadurch ihren übernatürlichen Charakter. Diese alten Riten könnten eine Erklärung für den Wendigo-Kult in dieser Gegend sein, dachte Ondragon, aber trotzdem warf sich da noch eine andere Frage auf: War das Netz mit dem toten Vogel vor oder nach dem Mord am Tatort aufgehängt worden? Hatten die Ojibway von der Leiche gewusst? Oder war es ein Zufall, dass sie dort gelegen hatte?
    Kateri holte ihn aus seinen Grübeleien, indem sie mit dem Bogen gegen das Federamulett stieß. „Wollen Sie eins mitnehmen?“, fragte sie schmunzelnd. „Dann sind Sie sicher.“
    Ondragon sah sie an.
    „Brauche ich es denn?“, fragte er zurück.
    Kateri lächelte unergründlich. Dann wandte sie sich um und setzte sich wieder in Bewegung.
    Ondragon presste die Lippen aufeinander. Diese Frau war ihm ein absolutes Rätsel. Sie brachte es fertig, dass er sich in ihrer Gegenwart fühlte wie ein unbeholfener, dummer Junge. Missmutig schlug er nach einem Ast und folgte ihr den Pfad entlang, vorbei an der Höhle und weiter in den dunklen Tannenwald hinein, in den er zuvor noch nicht vorgedrungen war. Stille umfing sie, und es war, als beträten sie innerhalb des Waldes eine andere Welt. Nur vereinzelt fielen Sonnenstrahlen bis auf den nur kümmerlich bewachsenen Boden. Die wenigen grellen Lichtflecken erinnerten Ondragon an grüne Feuer, die zwischen den schuppigen Baumstämmen in die Höhe loderten. Insekten tummelten sich überall, wo es schön warm war, und ständig musste er die Moskitos verscheuchen, die es sehr zu begrüßen schienen, dass zwei saftige Warmblüter vorbeikamen. Allmählich wurde ihm die Suche zur Qual, und er fluchte innerlich, dass er sich als Freiwilliger gemeldet hatte. Er blickte auf Kateris Rücken. Sie ging auf dem schmalen Trampelpfad vor ihm wie die Leiterin einer Expedition, die immer tiefer in diesen vermaledeiten borealen Dschungel hineinführte. Auf ihrem karierten Hemd hatte sich zwischen den Schulterblättern ein dunkler Schweißfleck gebildet. Unermüdlich hielt sie Ausschau, las hier und da eine Fährte, oder rief laut Lymes Namen. Ondragon warf einen Blick an sich herunter. Flechtenschuppen und Tannennadeln hingen in seiner Kleidung. Er blickte über die Schulter und stellte zu seiner größten Beunruhigung fest, dass es hinter ihm genauso aussah wie vor ihm. Alles wirkte gleich; Nadelbäume, wohin man schaute. Und egal, wohin man sich bewegte, versperrten sie einem den Weg mit ihren trockenen, sparrigen Ästen und zerkratzten einem die Haut. Wohin man trat, lag braunes, aus Lichtmangel verdorrtes Gestrüpp und tückische Stolperfallen aus totem Holz. Was für ein Scheißort! So richtig zum Verlieben. Ondragon schlug nach einer Schwadron Moskitos auf seinem Unterarm. Die Insekten zerplatzten und hinterließen kleine Blutflecken. Die Evolution hätte nichts Überflüssigeres als diese fliegenden Plagegeister hervorbringen können! Wenn er doch bloß seine große Klappe gehalten hätte, dann hätte er jetzt mit einer schönen, kalten Coke auf der Terrasse der Lodge sitzen können. Oder noch besser: Wenn er erst gar nicht auf die glorreiche Idee gekommen wäre, nach Minnesota zu fahren, dann würde er jetzt ein kleines Bad im Pool seiner Villa am Mulholland Drive in L.A. nehmen und danach ganz entspannt mit einem Mojito in den Abend chillen. Aber nein, stattdessen war er hier im Mosquitos Paradise gelandet und suchte nach einem

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