Ondragon - Menschenhunger
du den Doc nicht einfach, ob er es dir zurückgibt?“
„Das habe ich schon. Aber er sagt, er sei noch nicht fertig mit Lesen.“
„Pete, ich kann doch nicht einfach in sein Büro eindringen.“
„Können Sie wohl. Ich habe Sie doch gesehen.“
„Wobei?“
„Gleich in der ersten Nacht sind Sie in Sheilas Büro eingebrochen!“
Woher wusste der kleine Schleicher das?
„Ich war draußen an der Tür und habe Sie erkannt, als Sie durch die Eingangshalle geschlichen sind. Vorher habe ich das Licht Ihrer Taschenlampe in dem Büro gesehen.“
Also war es Pete gewesen, der damals die Geräusche vor der Tür der Lodge gemacht hatte. Zumindest das hätte sich schon mal geklärt. „Was hast du denn da draußen gemacht?“, fragte er zurück.
„Ich habe nach Momo gesucht. Er war schon den ganzen Tag ausgerissen.“
Ondragon gab sich mit dieser Antwort zufrieden. Er schätzte Pete ohnehin nicht so ein, dass er ihn belügen würde. Zurück zu dem Buch! „Nun gut, ich könnte in Dr. Arthurs Büro einbrechen und das Ding holen. Und was soll ich dann tun?“
„Dann kommen Sie damit zu mir nach Hause. Sie müssen mir helfen, es zu lesen.“
Ondragon sah Pete an.
„Nun, ja“, sagte dieser verlegen „wissen Sie, ich kann nämlich nicht besonders gut lesen.“
„Ich dachte, du wärst als Kind in die Schule gegangen?“
„Bin ich auch, aber Lesen und Schreiben habe ich da nicht so richtig gelernt.“ Somit fiel Pete als potentieller Drohbriefschreiber schon mal aus.
„Okay, Pete. Ich mach‘ es. Für dich!“
„Versprochen?“
„Ja!“ Ondragon fuhr sich über die Oberlippe. Ich fass‘ es nicht, ich helfe einem Hillbilly im Kampf gegen ein Fabelwesen! „Aber ich tue es erst heute Nacht. Ich komme dann zu eurem Haus. Sieh zu, dass der Köter ruhig bleibt!“
„Klar, Mr. On Drägn . Und vielen Dank!“
„Dank mir erst, wenn’s vorbei ist!“, flüsterte er und schickte den Hillbilly fort. Nachdem er eine Weile abgewartet hatte, ging er wieder zu der Tür des Bootshauses. Er horchte und klopfte dann. Keine Antwort. Er öffnete die Tür und trat in das dunkle Holzgebäude. „Kateri?“
Etwas Licht fiel durch eine der Türen auf der gegenüberliegenden Seite, durch welche die Boote direkt auf den See hinausgelassen wurden. Aber niemand war zu sehen. Ondragon trat an die Öffnung und schaute auf den See hinaus. Ihm bot sich ein zauberhafter Ausblick über das Wasser und die darin verstreut liegenden Inseln. Doch diese trügerische Idylle konnte nicht länger darüber hinwegtäuschen, dass sich dieser Ort zum Set eines Horrorfilms verwandelt hatte. Irgendwo da draußen lauerte noch immer der Killer und wartete auf sein nächstes Opfer. Dass Lyme diesem Verrückten zu nahe gekommen war, bezweifelte er längst nicht mehr, auch wenn er heute Vormittag noch geglaubt hatte, dass seine Wahrnehmung ihn im Stich ließ. Lymes Leiche war verschwunden, das stimmte, aber sein Instinkt - vom Fieber gedämpft oder nicht - sagte ihm, dass an den Ereignissen auf der Lichtung der Anschein einer Inszenierung klebte. Eine Inszenierung, die nur dafür gemacht war, ihn zu täuschen. Um ihn von seinem Weg abzubringen. Doch das würde ihnen nicht gelingen. Sein Kurs stand fest, unerschütterlich auf Kollision mit dem obersten Felsen der Lodge: Dr. Arthur!
Sein Blick blieb an einem länglichen schwarzen Fleck hängen, der sich in beträchtlicher Entfernung gemächlich über das Wasser schob. Nach genauerem Hinsehen, stellte er fest, dass es sich dabei um ein Kanu handelte, in dem ein Mensch saß. Vermutlich Kateri. Sie hatte sich auf den See geflüchtet, um dem Trubel zu entkommen - und um ihm zu entkommen?
Ondragon wandte sich von der trügerischen Traumkulisse ab und machte sich daran, zur Lodge zurückzukehren. Er würde später mit Kateri reden müssen. Vorher wollte er sich einen doppelten Espresso gegen seine Müdigkeit einverleiben und dann unauffällig die Gegebenheiten rund um Dr. Arthurs Büro sondieren. Dann würde er sich etwas überlegen müssen, wie er dieses verdammte Buch zu Pete bringen sollte!
42. Kapitel
2009, Moose Lake, Cedar Creek Lodge
Um drei Uhr nachts klingelte sein Wecker. Schwerfällig erhob sich Ondragon und schaute auf seinem iPhone nach, ob er eine neue Mitteilung von Charlize oder Rudee bekommen hatte. Doch seine Mailbox war noch immer leer. Was war nur mit Charlize los? Ihre Recherche dauerte ungewöhnlich lange. Er wollte das Handy wieder in der Nachttischschublade verschwinden
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