Ondragon - Menschenhunger
„Hören Sie mal, Sheila“, flüsterte er mit bedrohlichem Unterton, „Ihre Abneigung gegen mich beruht ganz auf Gegenseitigkeit. Ich kann Sie nämlich auch nicht leiden. Aber ich weiß, dass Sie mit Kateri befreundet sind und sehr wohl wissen, wo sie sich im Moment aufhält. Vergessen Sie also für einen Augenblick mal Ihre Eifersucht und Ihren Hass gegen Männer und verraten Sie mir, wo ich sie finden kann, ich habe ihr nämlich etwas Wichtiges mitzuteilen. Danach können Sie wieder über mich denken, was Sie wollen. Und wissen Sie was? Sie haben sogar Glück, ich bin heute ausgesprochen großzügig. Ich gebe Ihnen auch noch mein Versprechen obendrauf, Ihr geheimes Techtelmechtel mit Ihrer Herzdame nicht auffliegen zu lassen! Nun, was halten Sie von diesem kleinen Geschäft, Sweetheart ?“ Er fixierte ihre abweisend blauen Augen mit einem seiner Ultraschallblicke, mit denen er schon so manchen meterdicken Schutzwall zum Einsturz gebracht hatte. Er würde Kratzbürste Sheila nicht eher von der Leine lassen, bis er die Information hatte. Dass sie lesbisch war und mit Kateri ganz offensichtlich ein Verhältnis hatte, interessierte ihn dabei nur soviel, dass er es gegen sie benutzen würde, wenn sie nicht kooperativ war. Begriffen hatte er die ganze Sache heute Morgen, als er die beiden Frauen so vertraut miteinander gesehen hatte. Mit einem Mal war ihm alles klar gewesen: Sheilas Feindseligkeit vom ersten Tage an und Kateris sprödes Verhalten innerhalb der Lodge. Erst draußen im Wald, weit weg von Sheilas Blicken, hatte sie es gewagt, sich an ihn ranzuschmeißen. Aus welchem Grund auch immer, aber vielleicht stand sie auf Frauen und auf Männer, nur dass Sheila das nicht mitbekommen sollte.
Auf eine Antwort wartend zog Ondragon seine Augenbrauen hoch, ohne jedoch einen Millimeter von Sheila abzurücken. Seine Nähe schien ihr allmählich unangenehm zu sein, denn sie zog sich zurück, vorgebend etwas in dem Karteikasten nachzusehen. Erste Anzeichen von Nervosität?
Ihren aufdringlichen Widersacher ignorierend strich sie sich die Haare glatt und begann geschäftig in dem Gästeverzeichnis zu blättern. Klack, klack, klack. Einen kaum merklichen Hauch zu schnell huschten die grünen Fingernägel durch die Karten. Auf Ondragons Gesicht erschien ein zufriedenes Lächeln. Gleich würde sie einknicken. Es ging doch nichts über treffende Argumente!
Nach geschlagenen fünf Minuten, in denen Sheila die Kartei von hinten nach vorne und wieder zurück durchgegangen war, und Ondragon sie unverblümt angestarrt hatte, gab die Rezeptionistin schließlich klein bei. Sie war ein erstaunlich harter Gegner, dachte er, wahrlich beachtlich, wie lange sie gegen ihn standgehalten hatte. Sheila besaß ausgezeichnete Instinkte, das hatte sie schon von Anfang an bewiesen. Intuitiv hatte sie gespürt, dass er eine Gefahr für sie und ihre geheime Beziehung zu Kateri darstellte, noch bevor er es selbst gewusst hatte. Aber am Ende unterlagen sie ihm alle. Immer! Deswegen war er auch so gut in dem, was er tat!
„Bootshaus!“ Es war nur ein Wort, aber es bestätigte seinen Sieg dafür umso deutlicher.
Zum Abschied warf Sheila ihm einen Blick zu, der besagte, dass sie ihn das nächste Mal zerfleischen würde. Nun gut, das stand auf einem völlig anderen Blatt. Schließlich wusste niemand, wie es das nächste Mal ausgehen würde. Ondragon tippte sich mit ironischer Geste an die Stirn und machte sich auf den Weg.
Am Bootshaus sondierte er zuerst die Lage. Niemand war zu sehen oder zu hören, auch Frank, der Gärtner, übte sich in Abwesenheit. Er wollte gerade an die angelehnte Tür zum Bootshaus klopfen, da hörte er jemanden seinen Namen rufen.
„Mr. On Dr ägn !“
Ondragon ließ die Schultern hängen. Pete! Den konnte er im Moment überhaupt nicht gebrauchen. Einen Moment überlegte er, den Kofferjungen einfach zu ignorieren, doch dann drehte er sich zu ihm um. Der junge Hillbilly kam in einem ulkigen Schweinsgalopp auf ihn zugelaufen, hob eine Hand und rief erneut. „Mr. On Drägn , warten Sie!“ Als Pete schließlich atemlos bei ihm ankam, lächelte er erleichtert. „Gut, dass ich Sie gefunden habe.“ Auffällig nervös schaute er sich um, als wolle er sich vergewissern, dass sie alleine waren.
„Worum geht es?“, wollte Ondragon wissen.
„Also, ich …“, wieder sah er sich um. „Wegen gestern, es tut mir leid, wie der Deputy Sie behandelt hat.“
Ondragon war leicht überrascht. „Das muss dir doch nicht leid
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