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Ondragon - Menschenhunger

Ondragon - Menschenhunger

Titel: Ondragon - Menschenhunger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strohmeyer Anette
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wandte ihm sein Gesicht zu. Doch er lächelte nicht.
    Halt! Nicht jetzt! Du darfst das nicht! Ondragons letzter Hauch von Verstand, der sich wie ein Rettungsanker in der Uferböschung festgekrallt hatte, kämpfte gegen die unerbittliche Strömung des Angst-Tsunamis an. Mit Gewalt öffnete er die Augen und hielt den erdrückenden Strudel seiner Erinnerungen an. Dafür hatte er jetzt keine Zeit! Er würde sich später darum kümmern. Und außerdem konnte es nicht sein, dass der unbesiegbare Mr. Ondragon vor einer solch einfachen Aufgabe wie einem lächerlichen Auftragsdiebstahl kapitulierte! Er zwang seine Pupillen, sich wieder auf das Buch zu richten. Schwer atmend blickte er hinab. Da lag es im schützenden Schoß der Schublade. Ein Buch, wie es in seinem Habitus nicht perfekter sein konnte: fester Ledereinband, nur so groß, dass es beim Lesen gut in der Hand lag, marmorierter Schnitt. Ondragon würgte den Geschmack nach Panik herunter und redete seinen verkrampften Händen zu, sie mögen es doch endlich vollbringen. Als er unter seinen Fingerspitzen das speckige Leder spürte, legte sein Herzschlag noch einen Zahn zu - Technobeat war nichts dagegen.
    Gleich hast du es! Du schaffst das!
    Die Finger schlossen sich um den Einband. Maximal angeekelt drehte Ondragon den Kopf zur Seite und hob das Horrorteil schließlich aus der Schublade. Mit einem beherzten Schwung, der beinahe Lichtgeschwindigkeit erreicht hätte, stopfte er das Buch in eine Tüte und wickelte es gut ein. Ohne noch einmal in die Schublade zu schauen, schob er sie zu. Hätte er noch einmal genauer hingesehen, hätte er ein zweites Buch entdecken können, auf dem handschriftlich der Name „Kateri“ geschrieben stand. Doch die Schublade war längst zu, als Ondragon heftig schluckend und mit üblem Speichelfluss zur Bürotür und hinaus auf den Flur hastete.
    Er erreichte sein Zimmer, warf die Tüte mit dem Buch auf sein Bett und gelangte gerade noch rechtzeitig zur Toilette, bevor er herzhaft das Porzellan anbrüllte.

    Nachdem er sich wieder einigermaßen im Griff hatte, wagte Ondragon es, das Bad zu verlassen und einen Blick auf das zu werfen, was da auf seinem Bett lag. Nur die vage rechteckige Form verriet, was sich in der Tüte befand. Er griff nach seiner Jacke und stopfte sich einen Kaugummi in den Mund. Das würde ihn vielleicht davor bewahren, sich noch einmal übergeben zu müssen. Einen Augenblick lang lehnte er an der Wand, um zu überlegen und um seinen Atem zu beruhigen.
    Immerhin hatte er dieses verfluchte Buch. Jetzt musste er nur noch aus der Lodge kommen und zu Petes Haus gelangen, ohne gesehen zu werden. Ein letztes von vielen Malen zuvor vergewisserte er sich, dass seine Waffe griffbereit in seinem Halfter steckte, und angelte mit zusammengebissenen Zähnen die Tüte vom Bett. Ein gefährliches Würgen versetzte seinen leeren Magen in erneute Schwingung. Nur mit zwei Fingern die Tüte festhaltend verließ er sein Zimmer und schlüpfte wenig später durch die Feuertür hinaus in die Nacht.
    Draußen war es stockdunkel und erfrischend kühl. Sofort fühlte Ondragon eine Gänsehaut am ganzen Leib. Er schwitze noch immer wie ein Schwein. Scheißfieber! Das Aspirin allein half offensichtlich nicht mehr. Spätestens morgen brauchte er stärkere Geschütze. Ob er bei Sheila Paracetamol bekommen würde? Mit diesem beinahe tröstlichen Gedanken an ein weiteres Duell mit dem Königstiger von der Rezeption lenkte er sich ab, während er den schmalen Pfad vorbei an den Pferdestallungen und zu der Hütte der Parkers stapfte. Die Diodenlampe leuchtete ihm dabei zuverlässig den Weg mit ihrem bläulich kalten Licht.

    Am Blockhaus der Parkers war alles ruhig. Der Hund war nicht zu sehen. Hoffentlich hielt das Mistvieh seine Schnauze, sonst würde er auf dem Absatz kehrt machen, das Buch in den See schmeißen und sich ausschließlich nur noch um seinen eigenen Dreck kümmern!
    Aber der Köter blieb verschwunden, und Ondragon schlich auf das einzige erleuchtete Fenster des Blockhauses zu. Vorsichtig spähte er hinein. Drinnen sah er zwei Betten. In einem schlief Momo seelenruhig unter einem dünnen Laken und im anderen gegenüber hockte Pete stocksteif und mit angespanntem Gesicht. Das Licht einer Petroleumlampe beleuchtete die Szene wie in einem alten Westernfilm, in dem die Jungen darauf warteten, dass der Vater endlich schlief, damit sie sich aus dem Staub machen konnten. Ondragon meinte sich zu erinnern, dass er bei seinem ersten Besuch keine

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