Ondragon - Menschenhunger
geholt.“
„Wenn dein Bruder eure Eltern umgebracht hat, dann muss er zur Polizei! Pete, da kann ich nicht viel tun.“
„Bitte, gehen Sie nicht zur Polizei, Mr. On Drägn . Es ist nicht seine Schuld. Bitte, helfen Sie uns.“
„Wie soll ich euch denn dabei helfen?“ Ondragon hob beide Hände. Die Sache war eindeutig: Wenn Momo der Mörder seiner Eltern war, dann musste er hinter Schloss und Riegel. Das FBI würde sich zwar freuen, diesen Fall nach so vielen Jahren ad acta legen zu können, aber es gab nichts, was Momo vor dem Gefängnis schützen konnte. Außerdem war das nach zwölf Jahren kalter Kaffee. Vielmehr musste er sich um Dr. Arthur kümmern, der ein weitaus monströseres Spiel betrieb als der zurückgebliebene Momo, der aus Affekt oder was auch immer seine Eltern gekillt hatte.
„Mr. On Drägn, ich weiß, dass Sie das nicht wollen, aber nur Sie können uns helfen!“ Mit tränenverschleiertem Dackelblick sah der Hillbilly ihn an. Wirklich herzerweichend, dachte Ondragon abfällig, doch mit einem Mal spürte er irgendwo tief in seinem verhärmten Innern einen winzigen Funken Mitleid aufflammen. Es war wie eine schallende Ohrfeige! Überrascht über seine eigene Reaktion zog sich sein Brustkorb jäh zusammen, was seine Rippe dazu brachte, trotz des Aspirinpegels empört aufzukreischen. Und noch während Ondragon zu begreifen versuchte, wie es dazu kommen konnte, dass das, was er all die vorangegangenen Jahre so geflissentlich zu verbergen versucht hatte, nun doch an die Oberfläche drang, wusste er, dass er dem Hillbilly helfen würde. Ganz entgegen seiner gestrengen Maxime, niemals etwas für andere zu tun. Denn im Kampf ums Überleben war man sich selbst immer der Nächste. Das hatte die Natur schon ganz richtig so eingefädelt. Und Ondragon schätzte diesen Selbsterhaltungstrieb ganz besonders. Seine Seele war eine polare Eiswüste - sie musste es sein! Sie war ein Kühlschrank, in dem nichts anderes existieren durfte als professionelle Kälte.
Pete zog derweil ein schmutziges Stofftaschentuch aus der Hosentasche und schnaubte lautstark hinein, dass es von den Bäumen widerhallte. Dann ließ er die Arme hängen und sah traurig in den Wald. Ondragon konnte nur erahnen, wie einsam und klein sich der Junge in diesem Moment fühlte. Niemand wollte etwas mit einem einfältigen Dorfdeppen wie ihm zu tun haben. Aber gerade das war es, was Ondragon schließlich einen Ruck gab. Es war die Tatsache, dass der Junge den vollkommenen Gegensatz zu ihm selbst verkörperte. Peter Parker war ein herzensguter Mensch, wenn auch etwas unterbelichtet und mit dem Gemüt eines Riesenschafs, harmlos und unschuldig. Ganz anders als er selbst, der den meisten Menschen, mit denen er beruflich zu tun hatte, ausnahmslos Schlechtes zukommen ließ und alles andere als unschuldig war! Er hob dem Kofferjungen eine Hand entgegen. „Wenn es denn so sein soll! Dann schieß mal los.“
Verwundert schielte Pete auf die ausgestreckte Hand. Er hatte wohl nicht mehr damit gerechnet, dass er von dieser Seite Hilfe bekam.
„Echt jetzt, Mr. On Drä gn ?“ Seine Miene hellte sich auf.
Ondragon nickte, und Pete schlug ein. „Super, Mr. On Drägn ! Cool von Ihnen. Alles, was ich will, ist, Momo helfen.“ Mit gesenkter Stimme berichtete der Kofferjunge daraufhin, was er vorhatte, um Momo zu heilen. Es gäbe da ein sehr altes Buch, das sich in Dr. Arthurs Besitz befand. Eigentlich hatte es einmal der Familie Parker gehört, doch Pete hatte es dem Psychotherapeuten gegeben, weil dieser sich doch so fü r alte Schriften interessierte und weil sein Onkel Joel ihm einmal erzählt hatte, dass es darin um den Wendigo ging. Er hoffte, in dem Buch könnte etwas stehen, dass Momo heilen könnte. Ondragon hörte dem Hillbilly geduldig zu, fürchtete insgeheim aber schon das Ziel dieses aberwitzigen Plans.
„Sie müssen mir dieses Buch besorgen, Mr. On Drägn !“
War klar! Scheiße!
„Wo ist es denn?“ Er wollte es zumindest versuchen. Dem Jungen zuliebe, der sich so rührend um seinen Bruder sorgte … und wegen dieses verdammten weichgespülten Gefühls in seiner Brust! Das würde er noch fürchterlich bereuen, dachte er.
„In Dr. Arthurs Büro“, antwortete Pete, „in der Schreibtischschublade.“
Ondragon wurde unwohl. Er wollte Dr. Arthur zwar wegen seiner unappetitlichen Machenschaften drankriegen, aber einbrechen wollte er bei ihm nicht. Er hatte bereits alles, was er brauchte, um ihn zur Rede zu stellen. „Und warum fragst
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