Ondragon - Menschenhunger
nichts dagegen, wenn ich mich jetzt empfehle. Auf Wiedersehen!“ Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Büro. Ihm war es egal, dass er hörte, wie Dr. Arthur in seinem Rücken belustigt schnaubte.
48. Kapitel
2009, Moose Lake, Cedar Creek Lodge
Vor seinem Zimmer wartete Kateri. Ondragon schloss die Tür auf und bat sie mit hinein.
„Ich fahre jetzt“, sagte er und hob seine fertig gepackten Reisetaschen auf das Bett. Bates‘ Schuhe hatte er in einer Tüte. In Orr würde er sie den Polizisten übergeben, die nicht mit Dr. Arthur unter einer Decke steckten.
„Ich komme mit!“
Überrascht sah er Kateri an, hatte er doch fest damit gerechnet, dass sie in der Lodge bei ihrem Mentor bleiben würde.
„Nanu, wie kommt es zu diesem Sinneswandel?“
Kateri wich seinem Blick aus. „Ich will in diese Sache nicht mit reingezogen werden, das wäre aufgrund meiner Vergangenheit nicht gut. Auf keinen Fall darf jemand herausbekommen, was ich getan habe. Sonst kann ich alles, was ich mir bis jetzt aufgebaut habe, vergessen. Ich hänge nämlich an meinem Leben, so wie es jetzt ist. Du musst wissen, Jonathan war immer wie ein Vater für mich, und er hat damals dafür gesorgt, dass so wenig wie möglich von meinem Schicksal an die Öffentlichkeit dringt.“
„Das hat er auch geschafft. Ich habe fast nichts darüber rausbekommen.“
Kateri nickte. „Jonathan hat es mir erst ermöglicht, ein normales Leben zu führen. Wer hätte sich sonst mit einer Kannibalin eingelassen? Ich habe es allein ihm zu verdanken, dass ich überhaupt noch lebe. Wäre er nicht gewesen, hätte ich mich wahrscheinlich umgebracht. Du siehst also, wie sehr ich in seiner Schuld stehe. Aber wenn deine Anschuldigungen gegen ihn wahr sind, dann hat er ein schweres Verbrechen begangen, und dafür muss er zur Rechenschaft gezogen werden.“ Sie sah ihn an. „Du siehst aber nicht gut aus, Paul.“ Mit ihren kühlen Fingern strich sie ihm über die glühende Stirn.
Ondragon ließ sich diese Berührung gerne gefallen. Vielleicht würde ja doch noch etwas aus ihnen werden. Er nahm ihre Hand und küsste sie. Kateri lächelte unglücklich.
„Jetzt verliere ich wieder einen Menschen, den ich liebe.“ Dass sie damit Dr. Arthur meinte, war klar.
„Es tut mir leid, Kateri.“
„Das muss es nicht, wenn sich einer zu entschuldigen hat, dann bin ich das. Ich hätte dir eher glauben müssen.“ Sie streifte seine Lippen mit den ihren und wandte sich dann zur Tür.
„Meine Koffer sind in meinem Zimmer. Ich sage Pete Bescheid, dass er sie zu meinem Auto bringen soll. Ich fahre selbst.“
„Wird Sheila nicht sauer sein, wenn du mit mir die Lodge verlässt?“
Kateri sah verlegen zum Fenster. „Sheila war mir immer eine gute Freundin. Sie hat mir Halt gegeben. Ich hoffe, dass sie diese Sache gut übersteht. Ich weiß, dass sie nichts damit zu tun hat. In der Nacht, in der du mich gesehen hast, war ich tatsächlich mir ihr verabredet. Wir treffen uns immer heimlich in der Schutzhütte am Parkplatz für die Wanderer. Es sollte keiner wissen, dass wir ...“
Ondragon hob eine Hand und nickte. „Schon gut.“ Er nahm seine Taschen. Noch ein letztes Mal schaute er sich in dem Zimmer um und trat dann zusammen mit Kateri auf den Flur. Den Schlüssel ließ er im Schloss stecken.
Unten an der Rezeption gab Kateri ihren Wunsch an und erntete einen verständnislosen Blick von Sheila. Eine Weile diskutierten die beiden Frauen leise, und Ondragon hoffte, dass Kateri nicht zu viel ausplauderte. Doch die schlagartig entflammte Röte in Sheilas Gesicht und ihre heftige Gestik beruhigten ihn. Sie offenbarten, dass Sheila nichts außer rasender Eifersucht empfand. Gut, wenn sie das glaubte. Sie würde sich schon wieder abkühlen. Kateri beendete das Gespräch und kam zu ihm hinüber, und er konnte es nicht lassen, Sheila einen letzten siegreichen Blick zuzuwerfen. Die Empfangsdame schäumte vor Wut und warf ihm ein leises „Verpiss dich, Hetero-Arschloch!“ hinterher, als sie die Lodge verließen.
Draußen am Auto verstaute Ondragon sein Gepäck im Kofferraum, und während sie auf Pete warteten, blickte Kateri unwohl in den Wald, der den Parkplatz umgab. Glaubte sie, der Wendigo würde kommen, und sie in letzter Sekunde daran hindern, diesen Ort zu verlassen? Auch wenn Ondragon unter den Auswirkungen des Fiebers litt, das seinen Verstand zu vernebeln drohte, ahnte er, warum Kateri, Pete und die anderen immerzu von dem Waldmonster gesprochen hatten.
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