Ondragon - Menschenhunger
Stelle mit einem unheimlich aussehenden, abgestorbenen Baum hing ein weiteres Schild mit bear’s den darauf. Ondragon blieb kurz stehen und blickte in die Richtung, in die es zeigte. Ein kaum erkennbarer Pfad lief direkt in einen sehr finsteren Teil des Waldes hinein und verschwand zwischen rauen Fichtenstämmen und einigen rundlichen, moosbewachsenen Felsen, die sich an einer leichten Anhöhe auftürmten wie die Steinmurmeln eines Riesen. Diese Abzweigung würde er ein anderes Mal erkunden, vorher aber besser jemanden danach fragen. Nicht, dass er tatsächlich einen Bären aufschreckte, der dort seine Höhle hatte.
Ondragon blickte zurück über den See. Die Lodge war nicht mehr zu sehen. Zu viele kleine baumbewachsene Inseln verdeckten den Ufereinschnitt, an dem die Gebäude lagen. Er setzte sich wieder in Bewegung und erreichte wenig später den nördlichen Scheitelpunkt des Sees. Die Hälfte hatte er geschafft. Er fand einen umgekippten Baumstamm über eine sumpfige Stelle, durch die ein kleines Bächlein leise plätschernd in den See floss, und war mit drei Sätzen auf der anderen Seite, wo ihn der Wald mit deutlich dichterem Unterholz empfing. So dicht, dass der Pfad gerade mal als schmaler Durchlass zwischen den Blättern und Ästen zu erkennen war. Ondragon musste beim Laufen mehrere Male Zweige aus dem Weg schlagen, um sie nicht ins Gesicht zu bekommen. Eher ein Wildwechsel, denn ein Wanderweg, dachte er und kam aus dem Rhythmus. Solche Hindernisse war er nicht gewohnt, aber sie trainierten die Geschicklichkeit. Einmal blieb er jedoch an einer versteckten Fußangel hängen und wäre beinahe gestürzt. Fluchend fing er sich wieder und verlangsamte sein Tempo.
Gerade noch rechtzeitig. Sonst wäre er geradewegs in das nächste Hindernis gestolpert. Abrupt verharrte Ondragon.
Wer zum Teufel spannte mitten in der Wildnis Schnüre über einen Weg?, dachte er gereizt. Schwer atmend ging er einen Schritt nach vorn und betrachtete das seltsame Gebilde. Mehr, als dass er es sah, fühlte er, wie sich eine Wolke vor die Sonne schob und es schlagartig düster im Wald wurde. Selbst das Vogelgezwitscher verstummte. Wie in einem schlechten Horrorfilm. Blairwitch Project oder so was.
Ondragon schnaubte verächtlich.
Ein schlechter Scherz! Was anderes konnte es nicht sein.
Er streckte einen Finger aus und berührte den halb verwesten Greifvogel, der eingewickelt in ein Stück Fell in einem riesigen Spinnennetz hing. Das Netz entpuppte sich bei näherem Hinsehen als sorgfältig geknüpftes Flechtwerk aus groben Bindfäden.
Aber was machte es hier mitten über den Pfad gespannt? Und was sollte das mit dem Vogel? Der hatte sich mit Sicherheit nicht von selbst darin verfangen und war dann verendet. Ondragon zog den Finger von dem Kadaver zurück, der sanft im Netz wippte, und rümpfte angewidert die Nase. Weiße Maden krochen aus dem halb verfaulten Schädel des Bussards, oder was auch immer das für ein Vogel war. Ein strenger Geruch nach Wildtierurin drang von jenseits des Netzes herüber. Die Sonne versteckte sich noch immer hinter einer Wolke.
Ein plötzliches Knacken in der Stille des Waldes ließ Ondragon aufhorchen. Er wandte sich um, konnte jedoch außer dem übermannshohen Gestrüpp und dem schmalen Pfad nichts erkennen.
Noch ein Knacken, dem ein merkwürdig hohles Klopfen folgte, als wenn jemand mit einem Stock auf einen Baumstamm schlug.
Da war doch jemand!
„Hallo!“, rief er, fest entschlossen, sich nicht verarschen zu lassen. Wer auch immer diesen derben Scherz hier mit ihm trieb, er würde schon noch merken, dass er das falsche Opfer war. Mit Paul Ondragon legte man sich nicht an.
„Sehr witzig, du Komiker, komm raus!“
Statt einer Antwort knackte es wieder. Diesmal näher.
Auf dem Pfad kam etwas auf ihn zu. Doch Ondragon konnte nicht ausweichen, denn das Netz und dichtes Gestrüpp versperrten ihm den Weg. Er könnte sich natürlich quer durch die Büsche schlagen, aber dazu hatte er wenig Lust.
„Na, los, zeig dich, Witzbold!“, rief er drohend.
Wieder ein Knacken und ein heimliches Rascheln. Er nahm eine Bewegung der Zweige keine zehn Schritte von ihm entfernt wahr und versuchte in dem dichtbelaubten Geäst etwas auszumachen.
Dann hörte er wieder das hohle Klopfen und ein Seufzen. Gegen seinen Willen breitete sich eine Gänsehaut auf seinem Rücken aus. Erneut fluchte er leise. Warum ließ er sich durch diesen offensichtlichen Scherz aus dem Konzept bringen?
Er war einfach nicht auf
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