Ondragon - Menschenhunger
plemplem ist.“ Frank drehte sich einen schmutzigen Zeigefinger in die Schläfe.
Ondragon fragte sich, was er wohl von den Gästen der Lodge hielt?
„Dr. Arthur beschäftigt Pete nur aus reiner Nächstenliebe. Der Doc ist Philosoph.“
„Wohl eher Philanthrop.“
„Hä?“
„Das heißt Philanthrop, ein Menschenfreund.“ Ganz offensichtlich war Stinkstiefel Frank das nicht, so wie er über den Kofferjungen herzog. Ondragon erinnerte sich nur ungern daran, dass er gestern nicht anders über ihn geurteilt hatte.
„Von mir aus. Auf jeden Fall sollten Sie nicht alles glauben, was der kleine Spinner den ganzen Tag verzapft.“ Der schrullige Gärtner schüttete den Rest seines Bieres in sich hinein und rülpste. Mit der formvollendeten Grazie eines Bauarbeiters zerdrückte er die Dose und warf sie in einen Eimer, der schon mehrere leere Hülsen enthielt. Es schepperte laut in der sommerlichen Stille.
Ondragon beschloss, das Thema zu beenden. Er trank seine Dose aus, bedankte sich bei Frank und setzte sich wieder in Bewegung.
Wie weit es wohl war, wenn man um den ganzen See herum lief? War das überhaupt möglich, oder hörte der Weg irgendwo auf?
Mitten im Laufen drehte er sich um und rief: „Ach, äh, Frank, wie weit ist es einmal um den See?“
„So fünf bis sechs Meilen. Aber nach der Abzweigung zum Mount Witiko wird es etwas unwegsamer.“
„O.K., danke.“ Ondragon drehte sich wieder um.
„Aber brechen Sie sich ja nicht die Gräten. Ich habe nämlich keine Lust, Sie mit dem Boot irgendwo abzuholen! Und Paul, wenn Sie einem Bären begegnen, nicht weglaufen, das reizt die Biester nur!“
Ondragon hob eine Hand und lief weiter.
Frank hatte Recht, nach einer halben Meile zweigte der gut ausgebaute Wanderweg rechterhand ab. Ein braunes Schild mit der typisch gelben Beschriftung der State Park Verwaltung wies den Mount Witiko nach Osten mit zwölf und den Trailhead in die andere Richtung mit fünf Meilen aus. Dabei hatte er gestern auf seiner Fahrt hierher gar kein Hinweisschild gesehen. Wahrscheinlich lag der Startpunkt der Wanderstrecke irgendwo versteckt an der Forest Route zur Lodge. Unter den beiden Schildern war ein drittes angenagelt. In krakeligen Buchstaben war bear’s den , Bärenhöhle, darauf gepinselt worden.
Ondragon ließ sich nicht davon abschrecken und schlug den Trampelpfad ein, der sich an das Ufer des Sees schmiegte. Bären waren hier nichts Ungewöhnliches, dies war schließlich eines der größten ausgewiesenen Schutzgebiete, die es über die ganzen USA verteilt gab.
Allmählich fand er seinen Rhythmus, obwohl er ständig über Wurzeln oder Steine hinwegspringen musste, aber sein sportlicher Ehrgeiz war geweckt. Normalerweise lief Ondragon seine Fünf-Meilen-Runde auf dem asphaltierten Weg entlang der Strandpromenade zwischen Santa Monica und Venice. Die Strecke dort war eben und gleichmäßig und ohne Steigungen oder andere Überraschungen; ganz anders der holperige Trampelpfad, der vor ihm lag. Waldläufe waren etwas Seltenes für ihn, denn wo in L.A. gab es schon Wald? Außerdem war Wald Natur, und Natur stellte für Ondragon einen beinahe lebensfeindlichen Ort dar. Dass er hier in der abgelegenen Lodge gelandet war, hatte nur etwas damit zu tun, dass sie abgelegen war und er seinen Ruf zu schützen hatte. Für das Leben, das er führte, brauchte er die grelle und betonharte Umarmung der Stadt, ihren hektischen Atem und die flimmernden, bunten Lichter in der Nacht. Nur in der Stadt war er unbesiegbar.
Natur war nett zum Anschauen. Aber nett war ja auch der kleine Bruder von scheiße.
Obwohl, wenn er sich recht entsann, gab es da doch etwas. Natürlich konnte man die Natur ab und zu auch gut benutzen, um mit ihrer Hilfe gewisse Probleme zu lösen - leicht kompostierbare Probleme.
Ondragon genoss die ungewohnte Umgebung, ließ sich darauf ein. Er spürte seinen Atem im Einklang mit seinen Bewegungen fließen. Das Geräusch der Luft, die in seine Lungen hinein- und wieder herausströmte, mischte sich mit dem gleichmäßigen Trab seiner Schritte und dem melodischen Stimmen der Singvögel.
Eine ganze Weile lief er so, ohne über etwas Spezielles nachzudenken. Ein seltener Zustand. Der Pfad verlief die meiste Zeit im Schatten der Bäume. Nur, wenn das schmale Band einmal näher an das schilfbewachsene Ufer ausscherte, traf Ondragon die helle Hitze der Sonne in den Rücken. Umso erfrischender war es, kurz darauf wieder in das kühle Dunkel des Waldes abzutauchen.
An einer
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