Ondragon - Menschenhunger
wirklich gewöhnungsbedürftig, trotzdem musste Ondragon schmunzeln.
„Vorweg möchte ich noch sagen, dass ich Ihre Leistung, mit dieser speziellen Angst umzugehen und zu leben, bewundernswert finde. Es ist wirklich erstaunlich, wie weit Sie es damit geschafft haben. Gerade im Studium stelle ich mir das besonders schwierig vor.“
„Nun, ich hatte immer jemanden, der mir geholfen hat. Und heute bereitet meine Assistentin zuvor alles für mich auf und informiert meine Klienten, in welcher Form sie mir Informationen zukommen lassen sollen.“ Auch in dieser Hinsicht war Charlize Tanaka Gold wert. Ondragon hob beide Hände. „Das ist alles bloß eine Frage der Organisation.“
„Das Leben eines Neurotikers besteht zu einhundertzehn Prozent aus Organisation! Aber wehe, es läuft etwas nicht so, wie geplant. Sind Sie spontan, Paul? Können Sie mit unerwarteten Abweichungen von Ihrem Tagesablauf umgehen?“
„Ich denke schon. Zumindest laufe ich nicht gleich Amok, wenn sich etwas in meinem Plan ändert - und das tut es oft. Ich halte mich eigentlich für recht flexibel. Sonst könnte ich meinen Job nicht machen.“
„Sie müssen sich nicht verteidigen, Paul. Sie sind hier, damit ich Ihnen helfe, und dazu muss ich Ihnen Fragen stellen. Sie dienen allein dem Zweck, Sie einzuschätzen und nicht, um Ihnen Vorwürfe zu machen. Ihre abwehrende Reaktion ist verständlich. In Ihrer Welt brauchen Sie diesen Selbstschutz, doch hier bei mir nicht. Sie müssen ehrlich zu mir sein, sonst drehen wir uns im Kreis und dringen nicht zum Kern Ihrer Angst vor.“
„Ist gut. Ich habe verstanden. Ich werde mich bemühen.“
„In Ordnung, Paul. Ich möchte nun, dass Sie die Augen schließen und an die Farbe Ihrer Angst denken.“
Ondragon beruhigte sich ein wenig, legte seine Hände locker in den Schoß und schloss die Lider. Vor seinem inneren Auge erschien das Tannengrün. Magisch, zerstörerisch, zum Kotzen! Sofort stellte sich die bekannte Mischung aus Angst und Hass wieder ein.
„Und nun sagen Sie mir - ganz spontan - wer Schuld ist an Ihrer Angst?“
„Mein Vater!“, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
„Hmmhm. Und wieso glauben Sie das?“
Während er Dr. Arthur erzählte, was für ein verkappter Sadist sein Vater gewesen war, geschah etwas Sonderbares mit Paul Eckbert Ondragon: Er begann sein anfängliches Misstrauen zur Seite zu schieben und redete zum ersten Mal im seinem Leben mit einem anderen Menschen über das Verhältnis zu seinem Vater.
Als die Zeit der Sitzung abgelaufen war, hatte Ondragon das Gefühl, hier endlich an der richtigen Adresse zu sein.
Dr. Arthur schien das zu spüren und lächelte sein joviales Buffalo-Bill-Lächeln. „Ich, denke, wir waren für’s Erste erfolgreich heute.“ Er erhob sich, und Ondragon tat es ihm gleich.
„Sie sind ein sehr rationaler Mensch, Paul, sachlich und fest in dieser Welt verankert. Das ist gut, sie schwirren nicht in einem Fantasieuniversum herum. Außerdem haben wir eine der Ursachen für Ihre Phobie bereits extrahieren können und die anderen werden wir mithilfe der Hypnose auch noch ans Tageslicht bringen. Ich bin zuversichtlich, dass wir Ihr Problem recht schnell beheben werden. Bis dahin“, Dr. Arthur breitete die Arme aus, „genießen Sie den Aufenthalt! Und sollte Ihnen noch irgendetwas dazu fehlen, geben Sie mir oder dem Personal Bescheid. Wir kümmern uns darum.“ Er zwinkerte ihm zu und ruckte sein Kinn in Richtung der Liste.
„Ja, danke, ich …“
Ein Klopfen an der Tür unterbrach Ondragon.
Dr. Arthur verzog verärgert das Gesicht. „Das ist doch …! Entschuldigen Sie bitte, Paul.“
Doch bevor er noch etwas sagen konnte, flog die Tür auf und eine aufgeregte Sheila erschien im Raum.
„Sheila! Sie wissen doch, dass Sie auf keinen Fall eine Sitzung stören dürfen! Haben Sie das etwa vergessen?“, wies Dr. Arthur die Rezeptionistin zurecht.
Ondragon sah sofort, dass etwas nicht stimmte, denn Sheila war ganz bleich.
„Dr. Arthur. Es tut mir leid, aber …“ Sie holte Luft. „Es geht um Pete!“
„Ja?“ Die Ungeduld stand Dr. Arthur ins Gesicht geschrieben.
„Er hat eine Leiche im Wald gefunden!“
10. Kapitel
1835, Kabetogama, die einsame Blockhütte der Pelzjäger
„ Merde! “ Lacroix war blass geworden, seine Stimme nur noch ein Flüstern. „ Merde, merde !“
Zusammen mit dem Frankokanadier starrte Parker auf seine Füße hinunter.
Sie waren zu einer unförmigen grauen Masse angeschwollen und so
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