Ondragon - Menschenhunger
mit zur Rezeption gegangen und hätte sich angehört, was Pete zu sagen hatte, doch es war klar, dass seine Anwesenheit nicht erwünscht war. Deshalb begab er sich in sein Zimmer, nutzte aber zuvor die Gelegenheit und lauschte kurz an Zimmer Nr. 20.
Nichts.
Ondragon zuckte mit den Schultern. Irgendwann würde der seltsame Gast sich schon zeigen.
Und Pete würde er sich etwas später schnappen und ihn ausquetschen. Jetzt wartete Dr. Arthurs Liste mit den Angestellten der CC Lodge darauf, von ihm begutachtet zu werden.
Während sich der Leiter der Klinik im Erdgeschoss der Lodge um die „Angelegenheit“ kümmerte, machte Ondragon indirekt Bekanntschaft mit sämtlichen Angestellten des Therapiezentrums. Es erfreute ihn dabei sehr, dass Dr. Arthur äußerst freigiebig mit den Informationen gewesen war, denn zu jeder Person fand er einen Eintrag über Geburtsdatum, Beruf, Familienstand, Versicherungsnummer (was er eigentlich gar nicht brauchte) und wie lange der Betreffende schon in der CC Lodge beschäftigt war. Insgesamt gab es inklusive der Ärzte fünfundvierzig Festangestellte und vier saisonale Kräfte, die wahrscheinlich im Sommer für Hof und Garten verantwortlich waren und im Winter die Wege freihielten. Auffällig war das ausgewogene Verhältnis zwischen Frauen und Männern, das wahrscheinlich Absicht war und für ein gesundes Betriebsklima sorgen sollte. Es war schließlich nicht einfach, Menschen dazu zu motivieren, das ganze Jahr in dieser Abgeschiedenheit zu leben und zu arbeiten, das erforderte schon ein gewisses Maß an zur Verfügung stehender Zerstreuung und gute Gehaltsaussichten. Zudem war die gesamte Belegschaft relativ jung, im Schnitt 35 Jahre. Dr. Arthur stach da mit seinen 53 Jahren heraus, genau wie Frank, der Gärtner, mit 55. Neben dem medizinischen Personal fand Ondragon noch eine Verwaltungsangestellte, einen IT-Mann, der wahrscheinlich das Computernetzwerk der Ärzte pflegte, Putzkräfte, Küchenhilfen, einen Yogalehrer, einen Tennis- und Fitnesstrainer und vier Angestellte in der Wäscherei. Nichts Ungewöhnliches, eine Struktur, wie sie am ehesten mit einem Wellnesshotel vergleichbar war.
Nach einer Weile konnte sich Ondragon nicht mehr konzentrieren. Ständig schweiften seine Gedanken zu dem, was da unten im Büro der Rezeption gerade vor sich ging. Er fragte sich, wie lange die Polizei wohl noch brauchen würde, bis sie hier war. Aus Spaß googelte er mit seinem iPhone nach der nächsten Polizeistation. Sie war in Nett Lake, 54 Meilen entfernt. Mit einem Geländewagen konnte man diese Strecke in eineinhalb Stunden schaffen. Er blickte auf die Uhr. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis der verantwortliche Deputy hier auftauchte. Rasch stand er von dem Ledersessel am Fenster auf, steckte sich seinen Notizblock in die Hosentasche, verschloss alles andere im Tresor und ging hinunter ins Erdgeschoss. Unauffällig lugte er in den Eingangsbereich. Die Tür zum Büro war verschlossen, und er konnte gedämpfte Stimmen dahinter hören.
Da öffnete sich die Eingangstür und Frank, der Gärtner, kam herein. Er sah besorgt aus.
„Wo sind denn alle?“, fragte er brummig und sah sich um.
Ondragon deutete auf die Bürotür. „Dr. Arthur ist auch da drin.“
Frank zog verwundert die Stirn in Falten und legte die Hand auf die Türklinke.
„Das würde ich nicht tun!“
„Wieso?“
„Ich glaube, die da drin besprechen gerade etwas Wichtiges, und ich habe mitbekommen, dass sie nicht gestört werden wollen.“
„Aha.“ Frank musterte ihn von oben bis unten und schien ihn erst jetzt zu erkennen.
„Sie sind der Jogger von gestern - Paul.“
„Ja.“
„Und?“
„Und was?“
„War’s gut?“
„Der Wald ist ziemlich dicht, besonders an der Spitze des Sees.“
„Sie waren an der Spitze?“
Ondragon meinte, eine leichte Änderung in Franks Stimme wahrzunehmen.
„Ich bin um den ganzen See herumgelaufen.“
Frank sah ihn einen Moment lang an.
„Na, dann“, sagte er gleichgültig. „Ich wollte eigentlich nur fragen, ob hier jemand meinen Hund gesehen hat.“
„Ist er weg? Gestern war er doch noch bei Ihnen. Rumsfeld, richtig?“
„Er ist nachts immer draußen in seiner Hütte. Heute Morgen war er allerdings verschwunden. Rumsfeld geht schon mal seine eigenen Wege, aber morgens kommt er immer zu mir. Denn dann bekommt er sein Fressen.“
„Vielleicht hat er was Leckeres im Wald gefunden und hat sich den Bauch vollgeschlagen“, scherzte Ondragon. Doch dann dachte er
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