Ondragon - Menschenhunger
an die Leiche und musste schlucken. „Er kommt bestimmt bald wieder.“
„Wenn Sie das sagen.“ Mit mürrischer Miene verschwand Frank wieder nach draußen. Seine Stiefel hatten feuchte Erdkrumen auf dem grünen Teppich hinterlassen. Ondragon dachte an Sheila mit einem Staubsauger und verließ schnell den Eingangsbereich, bevor man ihn deswegen noch verdächtigen konnte.
Beim Mittagessen herrschte das gewohnte Bild: Gouverneur mit dicker Filmdiva, Charlie Bloom mit Models, Hatchet und sein Burger, sowie Norrfoss, Shamgood und Victory. Bisher schien noch keiner von ihnen von der Leiche erfahren zu haben. Da Miss Wolfe noch nicht an ihrem Tisch war, setzte sich Ondragon an seinen eigenen, fing dabei aber leider ein anzügliches Lächeln von Mr. Shamgood auf. Offenbar hatte dieser wiederum seinen suchenden Blick nach Miss Wolfe aufgefangen und verspürte jetzt Schadenfreude darüber, dass sie nicht da war. Unangenehmer Typ! Was wollte der bloß?
Sei nicht naiv, Paul, du weißt es doch. Shamgood ist sauer, weil er bei dir abgeblitzt ist. Die Auswahl an Gleichgesinnten hier ist nicht gerade groß und da hat er es auf gut Glück einfach mal bei dir probiert.
Ondragon bestellte bei Carlos eines der angeschlagenen Menüs: Blumenkohlsuppe mit Parmesan und Pinienkernen und einen Veggiwrap ohne Nachtisch.
Als sein Essen kam, betrat Miss Wolfe das Restaurant und sah sich um. Als sie Ondragon erblickte, lächelte sie. Er bot ihr einen Stuhl an, und sie setzte sich.
„Oh, das sieht gut aus. Ist das vegetarisch?“ Sie zeigte auf seinen Wrap.
Ondragon nickte.
„Dann nehme ich auch einen. Ich bin nämlich Vegetarierin.“
„Aus Überzeugung, oder gibt es einen bestimmten Grund?“
„Ich kann den Geschmack von Fleisch nicht ertragen.“
„Ach. Etwa, seitdem Sie als kleines Mädchen das Kaninchen …“
„Nein, das kam später.“ Ihr Lächeln verschwand, als hätte es jemand ausgeknipst. Sie wich seinem Blick aus und faltete die Serviette auseinander. Sie sprach erst wieder mit ihm, nachdem sie bei Carlos ihr Essen bestellt hatte.
„Wissen Sie, warum die Polizei da ist?“
„Polizei?“ Ondragon hob die Brauen. Waren sie also schon eingetroffen.
„Ich habe das Auto kommen sehen und wie die Deputies mit Dr. Arthur, Pete und Sheila nach oben verschwunden sind.“
Ondragon überlegte, ob er ihr von der Leiche erzählen sollte. Bald wüssten es sowieso alle. So etwas ließ sich nicht verheimlichen.
„Die Polizei ist hier, weil Pete beim Pilzesammeln eine Leiche im Wald gefunden hat. Aber behalten Sie das vorerst für sich. Ich bin bisher der einzige, der es weiß, denn ich war zufällig dabei, als Sheila Dr. Arthur benachrichtigt hat.“
„Und weiß man schon, wer es ist? Etwa jemand aus dem Haus?“ Sie blickte sich in der Runde um.
„Sheila behauptet, dass es keiner von uns sein kann, da in letzter Zeit kein Patient verschwunden ist.“ Keiner von uns - wie sich das anhörte!
„Das stimmt nicht ganz. Vor fünf Monaten im März ist ein Gast verschwunden. Ich war zu der Zeit gerade hier.“
„Ach ja, das klingt interessant. Erzählen Sie.“ Plötzlich fand Ondragon die ganze Sache mehr als nur unterhaltsam. Sein Instinkt für Rätsel und Ungereimtheiten war geweckt.
„Nun, der Gast aus Nr. 20 war eines Morgens nicht mehr da. Seine Sachen waren alle noch in seinem Zimmer, nur der Typ war verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Dr. Arthur hat vorsichtshalber zuerst nur intern Alarm geschlagen, Sie wissen ja, wie das ist, da reagiert ein Patient über und sofort gibt es Gerede. Dr. Arthur hat Pete mit einigen anderen Männern losgeschickt, um die gesamte Umgebung abzusuchen. Aber leider hatte es in der Nacht geschneit, und nirgends waren Fußspuren zu sehen. Dr. Arthur ist ruhig geblieben, denn der Gast galt wohl nicht als suizidgefährdet. Warum er allerdings hier war, weiß ich auch nicht, ich habe nicht viel mit ihm gesprochen. Er sah unauffällig aus, mittelalt, mittelgroß, blonde Haare. Er hieß Oliver Orchid und kam aus Toronto.“
OO-6! Das erklärte das Kürzel, dachte Ondragon. Nur, warum war der Typ immer noch auf Zimmer 20 gelistet, wenn er doch schon seit fünf Monaten nicht mehr darin wohnte? Sollte hier etwas vertuscht werden?
„Es ist also möglich, dass der Kerl in den Wald hinaus und dort erfroren ist?“, hakte er nach.
„Nein, die ganze Sache hat sich wenig später aufgeklärt. Man fand frische Reifenabdrücke auf dem Parkplatz unten, wo der Wander-Trail zum
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