Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
sie nicht bis heute Nacht hier herumlungern, dachte er gereizt. Als der Jongleur jede Fackel einzeln mit seinem Mund löschte, erwachte plötzlich das Earpiece in seinem Ohr zum Leben.
„Da ist er! Der Typ kommt aus dem Fahrstuhl und geht zum Ausgang!“, sagte Charlize. „Er trägt eine dunkle Hose, ein weißes Hemd und den silbernen Armreif am linken Arm. Du wirst ihn sofort erkennen! Das Tattoo kann ich auch sehen. Es befindet sich links an seinem Hals. Unter dem Ohr.“
„Hab ihn!“, antwortete Ondragon und betrachtete den Kerl genauer; jetzt da er ihn zum ersten Mal sah, wirkte er irgendwie unscheinbar. Seine Haut war kaffeebraun, wie die jedes zweiten Brasilianers, der an ihm vorbeiging. Er könnte tatsächlich ein Einheimischer sein. Nur der Armreif war ein komisches Ding. Sehr breit und glänzend poliert. Viel zu auffällig. Warum trug er ihn? War es sein Markenzeichen oder ein Zugehörigkeitsmerkmal? So wie das Tattoo? Ondragon beobachtete, wie der Typ vor dem Hotel stehenblieb und sich umschaute. Dabei schnuppere er in die Luft wie ein Hund, der Witterung aufnahm. Schnell duckte Ondragon sich in die Menschentraube, die sich um den Jongleur gebildet hatte. Als er wieder zum Hoteleingang sah, hatte der Kerl sich in Gang gesetzt und ging gemütlich in Richtung Hafen.
„Ich klemm mich an seine Fersen“, sagte er zu Charlize ins Mikro. „Und du verschaffst dir Zutritt zu seinem Zimmer. Er hat die Kiste nicht dabei, also muss sie noch im Hotel sein.“
„Vielleicht hat er nur das Buch und die Medaille bei sich.“
„Könnte sein, aber dann nehm ich ihm beides ab! Der Bastard ist fällig!“ Entschlossen machte sich Ondragon an die Verfolgung. Der Kerl schlängelte sich tatsächlich seltsam geschmeidig durch die Menschen, genau wie die Favela-Bewohner es beschrieben hatten. Als habe man einen Mann mit einer Eidechse gekreuzt. Unheimlich! Leider lichtete sich die Menschenmenge auf dem Bürgersteig allmählich und es wurde immer schwieriger, Deckung zu finden. Es war Nachmittag und die Leute lagen jetzt vom Lunch vollgefressen am Strand und brieten in der Sonne. Ondragon musste höllisch aufpassen, nicht entdeckt zu werden, denn der Kerl sah sich ständig um. Aus diesem Grund ließ er sich noch weiter zurückfallen, so weit, dass er es fast schon riskierte, ihn zu verlieren. Dabei lauschte er Charlizes Worten in seinem Ohr.
„Gehe hoch“, sagte sie und im Hintergrund erklang das Pling des Fahrstuhls. „Bin im Flur. Niemand da.“
„Sei vorsichtig, Charlize!“
„Ja doch.“ Es knisterte in der Verbindung, vermutlich weil er sich langsam aus dem Übertragungsradius herausbewegte.
„Beeil dich, Charlize! Der Typ ist zwar noch unterwegs, aber ich weiß nicht, was er vorhat.“
„Bin vor der Tür.“ Es machte klack, als sie die Magnetkarte in den Schlitz steckte. „Und drin! Der Masterkey war eine gute Idee.“
„Gut, durchsuch das Zimmer. Wo ist die Kiste?“ Ondragon geriet fast ins Schlingern, als der Typ sich umdrehte und genau in seine Richtung sah. Rasch senkte er seinen Kopf und tat so, als sei er mit seinem Smartphone beschäftigt. Der Strohhut verdeckte dabei sein Gesicht.
Was machst du nur für einen Anfängermist?, dachte er ärgerlich. Auf sein Handy zu gucken oder gar so zu tun, als telefoniere man, war einer der größten Fehler, den man bei einer Beschattung begehen konnte. Für jemanden, der sich mit den einschlägigen Praktiken der Geheimdienste auskannte, kam das einer Enttarnung gleich. Da konnte man als Verfolger auch gleich „Hallo, hier bin ich!“ rufen. Diese Art von Dilettantismus hatte er schon oft auf Aufzeichnungen von Überwachungskameras rund um den Globus beobachtet. Zuletzt bei der Aktion des Mossad in Dubai, als sie dem Hamas-Extremisten Mahmud al-Mabhouh ein äußerst unnatürliches Ableben verschafft hatten. Ondragon riss sich zusammen. Schließlich war er ein Profi!
Mit einem Auge schielte er auf den Typen und wartete ab, doch er schien seinen Fehler nicht bemerkt zu haben. Mr. Black ging einfach weiter und bog in eine Seitenstraße ein. Ondragon beeilte sich hinterherzukommen. Ecken waren immer eine heikle Angelegenheit. Er selbst benutzte sie gern, um bei einem Aufklärungsgang zu überprüfen, ob ihm jemand folgte. Deshalb tat er auch zunächst so, als überquere er die Straße und warf dabei einen zufälligen Blick hinein. Wo war der Mistkerl? Ah, da! Er ging schneller als zuvor und verschwand unvermittelt in einem Hotel in der zweiten Reihe.
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