Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
erwartet Sie Sem. Er will wissen, was los ist.“
„Wie spät ist es?“
„Schon nach zehn!“
„Gut, aber vorher gehe ich unter die Dusche. Und falls du unnötig drängeln willst, vergiss es! Ich nehme diese Dusche, und wenn draußen die Welt untergeht!“ Ondragon holte sein Handy hervor und rief im Krankenhaus an, schließlich wollte er Sem den aktuellsten Stand übermitteln. Nach Angaben des diensthabenden Arztes hatte sich Charlizes Zustand gebessert und sie war sogar bei Bewusstsein. Erleichtert beendete Ondragon das Gespräch und begann sich auszuziehen, dabei starrte ihn der Gorilla weiterhin an. „Darf ich um ein wenig Diskretion bitten? Du musst hier nicht das Kindermädchen spielen. Ich bin schon groß und werde den Weg zu Sem schon selber finden. Geh und richte deinem Chef aus, dass ich gleich bei ihm bin.“
Mit einem unwilligen Grunzen machte der Kerl kehrt und verschwand durch die Tür.
Keine zwanzig Minuten später stand Ondragon frisch geduscht und in einigermaßen sauberen Klamotten vor dem kleinwüchsigen Drogenboss und wünschte sich nichts sehnlicher als einen starken Kaffee. Sem saß auf dem Sofa und lauschte mit besorgter Miene seinem Bericht über die Ereignisse der vergangenen Nacht. Er wirkte erleichtert, als Ondragon ihm erzählte, dass Charlize zwar noch im Krankenhaus war, es ihr aber den Umständen entsprechend besser ging.
„ Bem “, sagte er schlicht, als Ondragon geendet hatte.
Bem? Gut? Sonst nichts? Das ist doch nicht wahr, dachte Ondragon. Gib es zu, du hast eine Scheißangst gehabt! Das habe ich dir genau angesehen. Angst um die a filha do sombra !
„Wer ist Charlize Tanaka?“, fragte er unvermittelt.
Sem blickte ihn lange an. Ungewöhnlich lange. Dann begann sich ein Schmunzeln unter seiner platten Nase auszubreiten. „Sie arbeitet seit sieben Jahren für Sie und Sie wissen nicht, wer sie ist?“
Verlegen starrte Ondragon auf die fleckige Wand hinter dem Mini-Gangster. Er schluckte und konnte gerade noch verhindern, dass er rot anlief. „Scheiße noch mal, nein. Und nun rücken Sie endlich raus damit!“
„Mann, das ist vielleicht lustig!“ Amüsiert sah Sem in die Runde seiner Gorillas.
Ondragon spürte, dass er es langsam satt hatte, ständig vorgeführt zu werden. Er bückte sich und griff nach seinem Gepäck. „Oookay, wenn hier alle nur über mich lachen wollen, dann gehe ich jetzt. Danke für Ihre Hilfe, Sem. Das Geld für den Auftrag finden Sie im Kühlschrank des Zimmers, in dem ich als erstes übernachtet habe. Tchau! “ Er wollte sich umdrehen und die Tür öffnen, da sprang Sem auf und versperrte ihm mit seiner vollen Größe von 1,50 Metern den Weg. Sein Scheitel befand sich auf der Höhe von Ondragons Brustbein, und seine schwarzen Augen glänzten wie polierter Onyx.
„Ihre Assistentin, Mr. O, ist die Tochter eines sehr einflussreichen Mannes hier in Brasilien“, sagte er mit eindringlicher Stimme. „Wir nennen ihn den ‚Schatten‘. Aber nicht nur weil er im Verborgenen bleiben will, sondern weil er ein leibhaftiger Schatten ist! Ein Mann ohne Gesicht, aber mit tausend Augen und Ohren!“
„Ah, und deshalb zittert ihr so vor ihm?“
Sems Lächeln verschwand, als hätte er es ausgeknipst. „ O sombra ist anders als wir. Wir sind nur kleine Fische. Auch die Anführer der anderen Comandos.“
„Aber wie kann ein einziger Mann sämtliche Comandos dieses Landes in Angst versetzen? Und dazu noch ein Japaner, ein Einwanderer!“
„Weil er ein Mann ohne Grenzen ist“, zischte Sem leise, als habe er Furcht, von O sombra gehört zu werden. „Er kann sein, wo er will, und gehen, wohin er will. Er ist überall! Nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter, Mr. O. Er weiß längst, was hier passiert ist und er wird sehr ungehalten darüber sein. Nehmen Sie sich in Acht! Sollten Sie bei O sombra in Ungnade fallen, wird auch seine Tochter Ihnen nicht mehr helfen können.“
Ondragon ließ sich nicht anmerken, dass ihn das beunruhigte. Sogar sehr beunruhigte. Nicht nur weil er ins Visier eines der mächtigsten Männer Brasiliens geraten war, sondern auch weil Charlize es nicht für nötig gehalten hatte, ihn davor zu warnen. Sie hatte ihm immer nur erzählt, ihr Vater sei als Kind nach Brasilien gekommen und habe dort eine stinknormale Laufbahn als Angestellter einer großen Firma eingeschlagen. Dass diese Firma Yakuza oder Mafia hieß, konnte er doch nicht ahnen! Und dass Charlizes Vater der
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