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Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)

Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)

Titel: Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anette Strohmeyer
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Gesicht, oder was davon übriggeblieben war. Die graue, rissige Haut spannte sich über den Schädel wie bei einem vertrockneten Fisch. Der Mund war zu einem stummen Schrei weit aufgerissen. Die geschlossenen Augen lagen tief in den Höhlen und selbst die Nase sah so aus, als sei sie in der Hitze verdorrt und zu einem runzeligen Hautrest zusammengeschrumpft.
    Der Schädel frisst die Haut, dachte Ondragon, er saugt sie in sich hinein. Wie bei jemandem, der schon lange tot ist und auf dem Friedhof verwest.
    Baron Samedi!
    Ein Schauer lief seinen verschwitzen Rücken hinunter.
    Der Herr der Friedhöfe.
    „Tja, es klingt komisch, aber der Untote ist tot!“, scherzte Rod, der seine Lampe auf dem Kopf zurechtrückte.
    Ondragon wrang förmlich den Lauf seines Gewehres, auf das er sich gestützt hatte. Er war hin und her gerissen. Zombie! Das Wort brannte auf seiner Zunge wie Tabasco, dennoch wollte er es am liebsten herunterschlucken. Er fand es allzu albern, so etwas überhaupt in Erwägung zu ziehen. Außerdem hatte er sich geschworen, dass wenigstens er dieses Wort nie wieder über seine Lippen bringen wollte!
    Es war absurd.
    Es war bescheuert.
    Aber schließlich gewann seine Neugier.
    Er räusperte sich und machte sich bereit für den längsten Sprung über seinen Schatten, den er je gemacht hatte.
    „Madame, stimmt das, was die Kleine sagt? Wurde er … wurde er tatsächlich zu einem Zombie gemacht?“
    Die Madame richtete den Strahl ihrer Lampe auf den Toten und schaute einen Moment lang ausdruckslos auf die ausgezehrte Gestalt, die vor ihrer aller Augen in sich zusammenzusinken schien, als ziehe die Erde bereits an ihren Gliedern.
    Dann schürzte sie die Lippen und schüttelte unschlüssig den Kopf.
    „Was nun? Zombie, oder nicht?“, wollte jetzt auch Rod wissen.
    Die Madame schwieg tief in Gedanken versunken. Dann murmelte sie etwas und berührte mit dem Zeigefinger einmal ihre Stirn und den Mund.
    „Das da ist kein Zombie!“, sagte sie schließlich mit Bestimmtheit.
    „Kein Zombie?“ Rod blickte sie ungläubig an. „Dann erklären Sie mir mal bitte, warum er sich wie einer benommen hat? Er ist wie ein Berserker auf meinen Rücken gesprungen und wollte Haggis aus mir machen. Und warum hat er die anderen Leute der Expedition abgeschlachtet?“
    „Ich weiß es nicht. Aber eines ist sicher, er ist kein Zombie! Dafür ist er … nun, er sieht nicht wie ein Zombie aus! Schauen Sie doch …“
    „Ach ja? Nicht wie ein Zombie? Dass ich nicht lache. Wie sieht dann bitteschön ein echter Zombie aus?“ Rod kam in Fahrt.
    „Zumindest nicht so.“ Die Madame wies auf den Mann. „Diese Beulen überall und seine Haut. So grau. So etwas macht ein coup poudre nicht. So sieht kein Zombie Cadavre aus!“
    „Aber was ist dann mit ihm passiert, dass er wie im hirnlosen Blutrausch Männer, Kinder und Frauen abgeschlachtet hat?“ Rod hob fragend beide Hände.
    „Ich habe keine Ahnung. Ein Bokor war hier jedenfalls nicht am Werk. Dafür lege ich meine rechte Hand in den Sarg!“
    Ondragon hörte schon längst nicht mehr richtig zu. Alles, worauf sich sein Denkapparat konzentrierte, waren die beuligen Auswüchse am Hals und am Kopf des Toten. Im Tran seiner Bewunderung für die Madame hatte er gar nicht bemerkt, dass die Königin aller Geheimnisse ihren Mantel längst gelüftet hatte. Wie vom Donner gerührt stand er da, während das letzte Zahnrädchen einrastete und die Lösung offen vor ihm lag.

31. Kapitel
    16. Februar 2010
    Haiti, Golf von Jacmel
    Kurz vor Mitternacht

    Ruhig steuerte Ondragon das Boot gen Süden. Zuerst mussten sie den Golf von Jacmel hinter sich bringen, bevor er auf einen westlichen Kurs einschwenken konnte. An der Steuerbordseite zog Haitis Landmasse wie ein schwarzer Scherenschnitt vorbei, unbeweglich darüber der dunkelblaue Nachthimmel.
    Die Madame hatte sich mit dem Mädchen in die Kabine mit den leeren Benzinkanistern zurückgezogen, und Rod saß hinten am Heck und rauchte eine Zigarre. Mit halber Kraft glitt das Boot über die im Sternenlicht glitzernde See, und frisch wehte der Fahrtwind die Gedanken davon … aber leider nur jene Gedanken, die flüchtig waren wie eine in der Wüste verdunstende Pfütze. Der giftige Bodensatz blieb, schwer und unverdaulich. Erinnerungen wie Blei … an das düstere Land und seine alles vernichtende schwarze Aura.
    Es erschien Ondragon unwirklich wie in einem Traum, doch er wusste, dass alles wahr war. Wahr wie der pochende Schmerz in seiner geschwollenen

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