Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
verhangen, der sich bald rosa und dann glühend orange einfärbte, als sich der Glutball der Sonne über die scharfe Linie des Horizonts stemmte.
Ondragon erwachte von selbst auf dem ausgebreiteten Schlafsack am Heck des Bootes und erhob sich blinzelnd und mit einem protestierenden Pochen unter seinem Jochbein. Zum Glück war die Schwellung nicht schlimmer geworden und hatte das Auge frei gelassen. Mit lahmen Knochen stakste er auf den Steuerstand zu Rod, der für die Schönheit des Sonnenaufgangs in seinem Rücken kein Auge hatte und stur geradeaus starrte, wo die Gestade Jamaicas immer greifbarer wurden.
„Morgen, Rod.“
„Morgen, Ecks. Oh boy , du siehst aus, als hättest du dir Omas Pflaumenmus ins Gesicht geschmiert.“
„Schmeckt aber nicht so gut! Dein Gesicht ist im Übrigen auch hübsch verziert.“ Er deutete auf die Kratzer, welche die Fingernägel des ‚Zombies’ bei Rod hinterlassen hatten.
Sein Freund knurrte: „Im Flugzeug haben wir Eis. Und Whiskey.“
„Bestens.“ Ondragon sah auf den mit Palmen gesäumten Küstenstreifen vor ihnen und war erleichtert, die Söldnerkleidung bald wieder an den Nagel hängen zu können. Schließlich gab es einen guten Grund dafür, dass er damals seinen Job als Mailman gekündigt hatte. Natürlich war es auch so gewesen, dass er ein Einzelgänger war und er seine eigene Geschäftsidee verfolgte. Aber da war auch noch etwas anderes. Es war etwas, das sich nicht so leicht in Worte fassen ließ. Über die Jahre bei DeForce hatte sich bei ihm eine gewisse Abneigung entwickelt. Ein Widerwillen gegen die Notwendigkeit, sich ständig der Gefahr auszusetzen. Das klang lächerlich, denn auch heute übte er nicht gerade eine sichere Arbeit aus. Es war vielmehr die Art der Gefahr. Die Jobs bei DeForce waren schmutzig, roh und direkt. Der direkte und unerbittliche Kampf des Überlebens ohne viel Finesse oder Cleverness. Und davon hatte er die Nase voll gehabt. Er hatte es nicht mehr ertragen, ständig im schlammigen Auswurf der Gesellschaft herumzuwühlen und die Abgestumpftheit in den Augen der Menschen zu sehen. Diese Hoffnungslosigkeit und der Schmutz derer, die ganz unten waren. Und unten war da, wo er nicht sein wollte, nicht mal als Zuschauer.
Letzten Endes war das wohl der Unterschied zwischen ihm und Rod, dachte Ondragon. Rod war mit Vorliebe da, wo er sich überlegen fühlte, er wühlte gerne im Schmutz.
„He, Ecks, wenn wir im Flugzeug sind, verrätst du mir dann endlich, was du herausgefunden hast?“, riss Rod ihn schließlich aus seinen Gedanken.
Ondragon sah seinen Freund an. „Selbstverständlich.“
„ Fine. “ Roderick DeForce nickte. „Wir sind bald da.“
Als Rod eineinhalb Stunden später die Motoren drosselte und mit blubberndem Sound das Heck des Bootes so nah wie möglich an den Strand manövrierte, erschien die Madame auf dem Deck. Sie sah taufrisch aus, was Ondragon beinahe eifersüchtig machte, denn er selbst musste aussehen wie ein zermatschter Blaubeermuffin. Woher hatte sie bloß diese blendende Kondition?
„Wir sind da“, sagte er trocken. „Holen Sie die Kleine hoch.“
Sie nickte, verschwand in der Kabine und kam wenige Minuten später mit dem Mädchen im Arm wieder heraus. Christine war wach, schien aber nicht viel von ihrer Umgebung wahrzunehmen. Ihr von den Schmerzmitteln glasiger Blick starrte entrückt ins Leere. Vorsichtig bettete die Madame sie auf den Schlafsack am Heck und half den beiden Männern anschließend dabei, die Ausrüstung zusammenzupacken.
Ein Jeep erschien am Strand. Darin zwei Männer, von denen einer in den Sand sprang und ins flache Meer watete. Der braungebrannte Kerl packte das Seil, das Rod ihm zuwarf, und zog das Gefährt noch näher an den Strand heran. Dann schwangen sich Ondragon und Rod ins Wasser und schafften die Ausrüstung in den Jeep. Als letztes trugen sie Christine hinüber und legten sie vorsichtig auf die Pritsche des Wagens. Die Madame setzte sich neben sie und hielt ihre kleine Hand.
In nur fünf Minuten fuhr der Jeep zu der leuchtend weißen Gulfstream, wo die Piloten bereits auf sie warteten.
„Startgenehmigung in dreißig Minuten!“, rief einer der beiden.
„ Jolly good! “, brüllte Rod gegen den Leerlauf der Turbinen am Heck des Flugzeugs an.
Schnell verstauten sie die Ausrüstung in der Maschine und fanden für Christine einen bequemen Platz quer über zwei Sitzen. Die Flugzeugtür schloss sich, und kurz darauf rollte die Gulfstream zur Startbahn.
Nach dem
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