Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
Straße gewesen.
Ondragon sah sich in dem Zimmer um: Marmor im Bad und dicke Damastvorhänge vor den Fenstern, ein königliches, sehr gemütliches Bett, das zum Nachholen des verkorksten Schlafs der vergangenen Nacht einlud. Aber seine innere Unruhe hielt ihn davon ab, sich auf die weiche Matratze zu legen und einfach die Augen zu schließen. Er würde so lange wach bleiben, bis Strangelove sich meldete. Das war jedoch nicht die einzige Sache, die ihn beunruhigte. Er dachte an das letzte Gespräch mit Charlize über Bolič. Es konnte einfach nicht sein, dass dessen Leiche nicht in dem Zimmer war. Er hatte ihn doch mit eigenen Augen dort liegen sehen, und zwar mausetot. Dennoch ließ ihn das, was Charlize über die Sache berichtet hatte, allmählich an seinem Erinnerungsvermögen zweifeln. Hatte er einen Fehler gemacht? Hatte er etwas übersehen? Vielleicht war Bolič nur betäubt gewesen oder hatte zu viele Schlaftabletten geschluckt.
Charlize war, nachdem der Zimmerservice offenbar nichts Ungewöhnliches im Zimmer des Bosniers bemerkt hatte, dort heimlich eingedrungen und hatte das Bett zu ihrem großen Erstaunen leer vorgefunden. Gründlich hatte sie die Räume abgesucht und sie Ondragon später beschrieben. Offensichtlich lagen Boličs Sachen noch immer unverändert an ihrem Platz. Alles hätte so ausgesehen, als habe der Bosnier das Zimmer nur kurz verlassen.
„Paul- san , bist du dir wirklich sicher, dass er tot war?“, hatte Charlize die unvermeidliche Frage gestellt, und Ondragon war ohne es zu wollen ins Wanken geraten. Er war sich absolut sicher gewesen, dass der Bosnier tot war. Kein Puls und kein Pupillenreflex, was gab es da falsch zu interpretieren? Gewiss hatte er davon gehört, dass Sportler einen sehr niedrigen Ruhepuls haben konnten, aber einen Aderschlag von Null fand man nicht mal bei einem Hochleistungsathleten. Der Betreffende würde ersticken oder an Herzversagen sterben. Was aber war mit dem Bosnier geschehen? Konnte jemand anderes die Leiche aus dem Hotel geschafft haben? Vielleicht war sie auch in ein anderes Zimmer gebracht worden. Ondragon hatte keine Ahnung, welchem Zweck das hätte dienen sollen, bat aber seine Assistentin, weiterhin in der Nähe zu bleiben, um das Geschehen zu überwachen und nötigenfalls zu versuchen, an die Videoaufnahmen von der Kameraüberwachung des Hotels zu gelangen. Auf denen würde man hoffentlich eindeutig sehen können, was sich alles vor dem Zimmer 506 abgespielt hatte. Denn eines war unbestreitbar klar: Irgendetwas ging da nicht mit rechten Dingen zu!
Wie so oft musste Ondragon an seinen Bruder denken, der zwar auch tot war, aber nicht aufhörte, ihn in Gedanken heimzusuchen. Wurde der Bosnier Bolič nun etwa auch zu einer Heimsuchung?
Um sich von diesen unerfreulichen Erinnerungen abzulenken, kramte er Handy und Laptop des Springers aus der Reisetasche. Er wischte sich über die brennenden Augen und sagte sich, dass das bloß von der langen Autofahrt und der wenig erholsamen Nacht herrührte … vom Alkohol ganz zu schweigen. Apropos, wer hatte noch gleich gesagt: Kein Alkohol sei auch keine Lösung?
Ondragon ging zum Fenster, zog die Vorhänge zu und angelte sich die angebrochene Flasche Talisker aus der Tasche. Großzügig schenkte er sich gut drei Fingerbreit in ein Glas ein und ließ zwei Eiswürfel aus dem Eisbehälter in die goldbraune Flüssigkeit fallen. Eine Weile beobachtete er die Schlieren, die sich in dem Getränk bildeten, dann nahm er einen tiefen Schluck und ließ den Whiskey langsam auf seiner Zunge kreisen, um das rauchige Aroma von achtzehn Jahren Eichenfasslagerung und salziger Meeresluft aufzunehmen. Als er spürte, wie der Alkohol sich angenehm warm in seinen Adern ausbreitete und seine entspannende Wirkung entfaltete, stellte er das Glas auf den Nachttisch und begann mit der Untersuchung der digitalen Inhalte der beiden Geräte.
Das Handy war passwortgesichert. Nach drei Versuchen war es gesperrt, und Ondragon widmete sich dem Laptop. Aber auch hier funktionierte keine seiner Kombinationen. Womöglich hatte Bolič bosnische Wörter benutzt. Mist! Um an die Daten zu kommen, würde er wohl doch seinen Computerspezialisten Rudee darauf ansetzen müssen. Jedoch benötigte er dafür eine Internetverbindung. Ondragon spürte, dass er keine Energie mehr hatte, bei der Rezeption anzurufen, um das LAN auf seinem Zimmer freischalten zu lassen, und klappte daher den Laptop zu. Morgen war auch noch ein Tag. Das hoffte er zumindest!
Er
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