Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
einen anderen Grund, warum Stern sich nicht meldete. Was, wenn er und Ellys längst dasselbe Schicksal teilten und mausetot irgendwo im Graben lagen?
„Ich gebe Ihnen einen Rat, Mr. Green“, sagte er schließlich zu dem Mailman, „lassen Sie Ihre Post ungeöffnet, bis Sie von mir grünes Licht bekommen! Und stecken Sie vorsichtshalber alle Briefe in luftdichte Tüten.“
„Warum?“
„Weil ich es Ihnen sage!“, erwiderte Ondragon schroff. Er hatte keine Lust, mit dem Kerl zu diskutieren.
Green räusperte sich. „Natürlich, Mr. O, ich habe verstanden.“
Die überraschende Unterwürfigkeit des DeForce-Mailman erfreute Ondragon und er erlaubte sich ein Schmunzeln. Wenigstens hatte es ein Gutes, eine Legende zu sein. Der Ruf eilte einem voraus und zeigte den erwünschten Respekt!
„Eins noch, existiert das Codewort ‚Carwash‘ noch?“
Green schien verunsichert, denn er antwortete nicht sofort. Erst nach einigem Zögern kam ein „Nein, das wurde schon mehrmals wieder geändert. Es heißt jetzt ‚Coca Cola‘.“
Möglicherweise reagierte Rod deshalb nicht darauf, dachte Ondragon und ärgerte sich ein wenig, dass sein Freund und Auftraggeber es offensichtlich versäumt hatte, ihm den neuen Code mitzuteilen. Er verabschiedete sich von Green und wählte gleich im Anschluss die Nummer seines Freundes in Dubai. Er benötigte weitere dezidierte Angaben über die Haiti-Aktion.
Als sich die Frauenstimme wieder meldete, stieß Ondragon einen lauten Fluch aus und trat gegen einen Mülleimer, womit er die Familie erschreckte, die neben seinem Auto gerade Hotdogs aß. Wütend stapfte er zum Mustang zurück und stieg ein. Er brauchte kühle Luft aus der Klimaanlage! Die Hitze hier draußen reizte ihn nur umso mehr. Er warf den Motor an und parkte rückwärts aus, da piepte sein Handy. Ein hektischer Griff zum Telefon. Es war eine SMS! Strangelove!
Muss noch warten! Probe kann erst gegen Abend ins Bioflash. Sry, mehr kann ich nicht tun. :-(
Ondragon unterdrückte den Impuls, das iPhone aus dem Fenster zu schleudern. Stattdessen schlug er ein paar Mal mit der Faust auf das Armaturenbrett. Dann drückte sein Fuß das Gaspedal durch, und mit quietschenden Reifen fuhr er vom Parkplatz der Tankstelle.
Er war keine Meile gefahren, da klingelte das Handy erneut. Erst meldete sich stundenlang niemand und dann alle auf einmal!
„Charlize, gibt’s was Neues?“, fragte er genervter, als beabsichtigt.
Seine Assistentin ließ sich wie üblich nicht von seinen Launen aus der Ruhe bringen – zumindest ließ sie es sich nicht anmerken. „Und ob, Chef!“, sagte sie bedeutungsvoll. „Der Zimmerservice war da, hat aber keinen Alarm geschlagen.“
„Aber die müssen doch Boličs Leiche gefunden haben!“
„Haben sie aber nicht.“
„Wie das denn? Der Typ ist tot und stinkt fröhlich vor sich hin! Wie kann man so etwas nicht bemerken?“ Ondragon konnte es nicht fassen.
„Ich kann dir sagen, warum!“ Charlize machte eine Pause. „In dem Zimmer ist nämlich keine Leiche!“
6. Kapitel
07. Februar 2010
im Dorf Nan Margot, Süd-Haiti
15.25 Uhr
Christine Dadou stand am Grab und starrte auf das weißgetünchte Holzkreuz, auf dem geschrieben stand: „Ici repose Frédéric Dadou“ und darunter „20.05.2002 - 12.01.2010“.
Der Friedhof, den sich die drei Dörfer der Umgebung teilten, lag am Nordrand von Nan Margot, dort wo der staubige Hang zum Gebirge hin anstieg. Er war in den letzten Wochen um die doppelte Fläche angewachsen. Christine sah von den vielen frischen Kreuzen hinauf in den Himmel, wo einige weiße Wolken dahinzogen. Eine leichte Brise ließ die Wipfel der wenigen umstehenden Bäume flüstern, die Luft roch ungewohnt leicht und sauber. Das erste Mal nach dem schrecklichen Unglück fühlte Christine sich in der Lage, wieder richtig atmen zu können. Das lag aber nicht am freundlichen Wetter, sondern vielmehr daran, dass mittlerweile alle Leichen aus den Trümmern des Dorfes geborgen und begraben worden waren … und der Seewind endlich den allgegenwärtigen Verwesungsgestank vertrieb.
Christines Gedanken reisten unweigerlich zurück an den Tag, an dem die Erde sich aufgetan hatte, als wolle sie die gesamte Menschheit verschlingen. So hatten es die Priester in ihren Messen zumindest immer beschrieben: Gott würde einst die Erde von allen Sünden reinwaschen.
Christine war froh, dass der Liebe Gott sie verschont hatte. Aber was hatte ihr Bruder Ihm getan, dass er sterben musste? Sie machte
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