Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
falsch herausstellen sollte. Er nahm einen im mexikanischen Stil bemalten Totenschädel aus Porzellan in die Hand und tat so, als interessiere er sich dafür. Über die Ränder seiner Sonnenbrille hinweg beobachtete er die Voodoo-Lady.
Nachdem die Kundin endlich ihre botanische Sammlung bezahlt hatte und mit einem fröhlichen Au revoir den Laden verließ, ergriff Ondragon die Initiative und ging mit dem nächstbesten Glücksbringer zur Kasse.
„Sie sind nicht aus New Orleans, Monsieur.“ Die Voodoo-Lady lächelte ihn an. Ihre Stimme war dunkel und angenehm.
„Nein, ich bin nur auf der Durchreise. Ein paar Tage Spaß, Sie wissen schon“, entgegnete Ondragon freundlich.
Die Cajun-Königin deutete auf den Glücksbringer aus gläsernen Chilischoten, den er in der Hand hielt. „Dieses Amulett stammt aus Mexiko und wehrt Unglück ab. Alle Gegenstände hier im Laden sind mit den entsprechenden Formeln besprochen oder von einer Priesterin geweiht worden. Sie werden sehen, es wird seine Magie entfalten. Hängen Sie das Amulett an den Rückspiegel Ihres Autos und es schützt Sie vor Unfällen. Ist immer gut, wenn man einen teuren Wagen fährt.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Darf es sonst noch etwas sein?“
Ondragon überlegte, wie zum Teufel sie wissen konnte, dass er ein teures Auto fuhr. Wahrscheinlich pures Glück, dass sie darauf getippt hatte, zumal er in seiner Verkleidung als gewöhnlicher Tourist in T-Shirt und Jeans überhaupt nicht nach Geld aussah. „Nein, danke.“ Er zog seine Brieftasche hervor und drückte der Dame einen Zwanziger in die Hand. Als sie ihm die Quittung und das Amulett in einer Papiertüte überreichte, beugte sich Ondragon zu ihr über den Tresen und fragte flüsternd. „Ich möchte zu Madame Tombeau. Bin ich da bei Ihnen richtig?“
„Wer will das wissen?“ Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden, ihr Ton plötzlich harsch.
„Sagen wir, ich habe Ihre Adresse von einem angesehenen Kollegen aus der Wissenschaft erhalten. Ich brauche die Hilfe einer Voodoo-Priesterin in einer, nennen wir es … vertraulichen Angelegenheit.“
Die Voodoo-Lady beäugte ihn misstrauisch. Dann schnalzte sie mit der Zunge. „Sie sehen mir nicht gerade aus, als glaubten Sie an die Magie des Voodoo, Monsieur! Warum brauchen Sie den Rat einer Mambo?“
Ondragon verspürte wenig Lust, ihr das zu erklären, bevor er nicht wusste, ob sie die gesuchte Person war. „Wie ich schon sagte, es ist vertraulich, und ich kann es nur mit Madame Tombeau persönlich besprechen.“ Allmählich kam er sich lächerlich vor, hier mit Flip Flops in diesem Hokuspokusladen zu stehen. Und dazu noch dieser Name! Tombeau, „Grabstein“, das war doch ein schlechter Witz!
„Madame Tombeau ist nicht da!“
„Ich bitte Sie …“
„Was ist der Grund für Ihre Konsultation? Sagen Sie es mir. Woher soll ich sonst wissen, dass Sie es tatsächlich ernst meinen und nicht bloß ein sensationslüsterner Tourist sind?“
Die Lady begann ihn allmählich zu nerven, also holte er sein iPhone hervor, öffnete das Foto mit dem Vèvè vom Totenbaron und zeigte es ihr.
Die Cajun-Königin zuckte beim Betrachten des Bildes unvermittelt zusammen. „Bondieu!“, entfuhr es ihr. „Und das tragen Sie mit sich herum?“ Schnell bekreuzigte sie sich und sah von dem Foto in sein Gesicht.
Überrascht erkannte Ondragon blanke Furcht in ihren dunklen Augen.
„Madame Tombeau ist in ihrem Büro. Einen Moment bitte, ich frage nach, ob sie Zeit hat.“ Sie holte ein altmodisches Telefon unter dem Tresen hervor, wählte eine kurze Nummer und sprach dann beinahe hektisch und in einem solch starken kreolischen Akzent, dass er nur die Worte Samedi , maléfique und so etwas wie cadavre verstand. Was hatte die Dame an dem Foto so aufgeregt?
Mit zitternden Händen legte sie auf und sagte: „Madame Tombeau erwartet Sie, Monsieur. Gehen Sie durch diese Tür da und dann den Gang entlang. Ihr Büro ist hinter der letzten Tür rechts. Klopfen Sie viermal und öffnen Sie auf keinen Fall eine der anderen Türen!“ Sie warf ihm einen warnenden Blick zu und bekreuzigte sich ein weiteres Mal. „Gehen Sie schon! Allez! “
Ondragon folgte ihrer Anweisung und öffnete die Tür im hinteren Teil des Ladens, die so dicht mit afrikanischen Masken und Tierschädeln behangen war, dass er sie zuvor gar nicht wahrgenommen hatte. Ein dunkler Gang tat sich auf, in dem noch weitere Gegenstände unergründlicher Herkunft an den Wänden hingen und ihn anglotzten.
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