Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
Auch sie verströmten diesen unangenehmen Geruch, der immer intensiver wurde, je tiefer er in den Gang vordrang. Er zählte sechs Türen, die davon abgingen. Vor der letzten auf der rechten Seite blieb er stehen. Es stand kein Name oder etwas Ähnliches daran. Er klopfte viermal. Eine Stimme rief ihn herein und er drückte die Klinke. Verblüfft erstarrte Ondragon noch auf der Türschwelle.
Er hatte erwartet, einen von Kerzen beleuchteten, mit Voodoo-Utensilien vollgestopften Raum zu betreten und sich einer weiteren Ausgabe der Cajun-Königin von vorn aus dem Laden gegenüberzusehen, doch das, was ihn empfing, war alles andere als ein Klischee!
Die Frau, die sich von ihrem modernen Schreibtisch erhob, war zwar von exotisch dunkler Hautfarbe, jedoch nicht in das vermutete Priesterinnengewand gehüllt. Sie trug ein graues Businesskostüm mit weißer Bluse, einen knielangen Rock und schwarze Schuhe mit Absatz. Ihr Haar war zu einem strengen Dutt zurückgesteckt, was ihre ausnehmend hübschen kreolischen Züge hervorhob. Allerdings saß auf ihrer Nase eine markante, schwarzgerahmte Brille, die sie sehr seriös wirken ließ … sehr seriös …
Sie trat ihm mit einem Blick entgegen, der deutlich ihre Belustigung ob seiner Irritation verriet. „Haben Sie jemand anderen erwartet, Monsieur …?“
Ondragon löste sich aus seiner Starre, riss sich die Sonnenbrille herunter und besann sich auf seine gute Schule. Er lächelte charmant und nahm die Hand, die sie ihm anbot. „Mein Name ist Paul Eckbert Ondragon. Ich bin Consultant aus L.A.“ Er suchte nach seiner Visitenkarte, musste aber feststellen, dass er keine dabeihatte, da er dieses lächerliche Touri-Outfit trug. Plötzlich fühlte er sich unsicher und wünschte sich, er hätte einen Anzug mit Krawatte angezogen.
„Sehr erfreut, Monsieur Ondragon, ich bin Madame Tombeau.“ Ihre Sprache war sehr weich und mit einem Akzent von den französischen Antillen gefärbt. „Kommen Sie zu mir wegen Ihrer beiden Flüche?“
Ondragon runzelte die Stirn. „Meine Flüche? Ähm, nein … ich …“
„Aber ich sehe in Ihrer Aura zwei Flüche, die Ihnen anhaften. Den einen könnte ich Ihnen nehmen, wenn Sie das wünschen, den anderen allerdings nicht. Ich fürchte, der ist Ihr Schicksal und stärker als meine bescheidene Macht.“
„Ich bin aber nicht wegen meiner Flüche hier.“ Das ist vollkommen absurd, dachte Ondragon und straffte seine Haltung. „Verzeihen Sie mein legeres Erscheinungsbild, Madame, das ist nicht meine übliche Kleidung und erweckt womöglich den falschen Eindruck. Es ist lediglich … eine Tarnung.“
Sie hob interessiert ihre schmalen Brauen. „Wofür benötigen Sie denn eine Tarnung?“
„Nun, normalerweise berate ich Firmen und Privatleute bei ihren Problemen, im Augenblick aber bin ich im Auftrag eines Freundes unterwegs und suche einen seiner Mitarbeiter, der in Haiti mit Voodoo-Zauber in Kontakt gekommen sein könnte. In seinem Haus habe ich zumindest einige Hinweise darauf entdecken können und sie fotografiert. Zu Ihnen kam ich, weil Sie mir von einem Experten empfohlen wurden, der sagte, Sie könnten mir dabei helfen, die Fotos zu untersuchen. Jede noch so kleine Spur ist wichtig für mich. Und um darauf zurückzukommen: Für meine detektivische Arbeit verwende ich gerne eine Tarnung. Muss ja nicht jeder gleich auf eine Meile riechen, wer ich bin, Sie verstehen.“
Madame Tombeau nickte leicht belustigt. „Nun, dann nehmen Sie meinen Laden Ihrerseits als Tarnung. Er ist nur ein kleines Nebengeschäft. Die Touristen kaufen gerne hier ein. Hauptberuflich bin ich eine ausgebildete und eingeweihte Mambo, eine Vodou - Prêtresse , und praktiziere hier in New Orleans für all die Menschen, die meiner Gemeinde angehören. Und das sind nicht nur Männer und Frauen aus meiner Heimat Haiti, auch Amerikaner und Europäer glauben an die Kraft des Vodou und suchen meine Konsultation. Ich bin nicht nur ihre Vermittlerin zu den hohen Engeln, den Loas, ich löse auch ihre ganz alltäglichen Probleme wie Krankheiten oder Liebeskummer. Aber setzen Sie sich doch, s’il vous plaît . Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“
„Gern ein Wasser, wenn es keine Umstände macht.“ Ondragon setzte sich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch, auf dem ein neues Macbook stand, und erging sich heimlich in der Betrachtung seiner Gastgeberin, während diese eine Flasche Perrier aus einem Kühlschrank und ein Glas aus einer Hängevitrine holte. Sie war
Weitere Kostenlose Bücher