Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
Louisiana wuchs von Tag zu Tag weiter hinaus ins Meer.
Und er saß genau hier fest. Na prima!
Seufzend durchsuchte er seine Taschen. Leider fand er weder sein Handy noch das Messer oder die Sig Sauer. Das Halfter baumelte leer unter seiner Achsel. Nicht einmal seine Armbanduhr und die Kaugummis hatten sie ihm gelassen. Schöne Scheiße! Er saß in der Wildnis fest mit nichts in den Händen, das ihm in irgendeiner Weise behilflich sein konnte. Der einzige Unterschied zu der Situation damals in Minnesota war, dass ihn diesmal kein Scheißwald umgab.
Sondern ein Scheißwald im Wasser!
Fast wünschte sich Ondragon, er wäre in der Wüste geblieben, dann hätte er jetzt wenigstens trockene Füße.
Er hob den Kopf und versuchte, mehr von seiner Umgebung zu erkennen. Das Dunkelgrün vor seinem getrübten Auge wechselte allmählich zu einem Schattenblau und schließlich zu einem schlichten Schwarz. Wenigstens war seine schlechte Sicht mit dem Anbruch der Nacht egal geworden. Schwarz war Schwarz. Jetzt musste er sich ausschließlich auf sein Gehör konzentrieren. Ondragon hatte längst festgestellt, dass seine Ohren gar nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen worden waren, wie er zuvor angenommen hatte. Denn das Sirren, Klingeln und Trällern waren nicht die Auswirkungen eines Hörsturzes gewesen, sondern die Stimmen der Vögel, Zikaden und Frösche, die gemeinsam ihr abendliches Sumpfkonzert abgehalten hatten. How lovely!
Während er seine Ohren in alle Richtungen aufsperrte, setzte Ondragon wankend und mit nach vorn ausgetreckten Armen einen Fuß vor den nächsten, bei jedem Schritt mit den Zehen tastend, ob der Grund ihn auch hielt. Er musste eine erhöhte Stelle erreichen, am besten einen Baum, auf den er klettern konnte. Nur so würde er die Nacht überstehen, ohne im Schlick zu ersaufen oder von Alligatoren und anderen lautlosen Sumpfschleichern wie Giftschlangen und Spinnen verspeist zu werden. Die Richtung, in die er sich bewegte, war einerlei.
Nach wenigen Schritten stießen seine ausgestreckten Finger gegen etwas Hartes. Er befühlte das Hindernis und erkannte einen Baum mit ausladenden Wurzeln. Wahrscheinlich eine Sumpfzypresse. Rundherum war Wasser. Na, prächtig! Dieser Baum taugte schon mal nicht als Versteck. Ondragon stieß sich von dem Stamm ab und setzte seinen mühsamen Gang durch den saugenden Untergrund fort. Recht bald wurde das Wasser immer tiefer und als es ihm bis über die Hüfte reichte, hielt er an. Vermutlich war er an einen Bayou gelangt, einen der unzähligen kleinen Flüsse, die das Sumpfgebiet durchzogen. Kurz überlegte er, ob er hindurchwaten sollte. Schwimmen wäre besser, sagte ihm sein Instinkt, so würde er wenigstens nicht in dem Schlamm am Grund stecken bleiben. Aber was war, wenn er schwamm und kein gegenüberliegendes Ufer erreichte? Dann würde er womöglich nie wieder in die flacheren Gefilde zurückfinden, geschweige denn zu seinem Ausgangspunkt. Und dann blieb ihm nur noch das Wassertreten … bis ihm die Kraft ausging. Außerdem gäbe er schwimmend perfektes Alligatorenfutter ab.
Also doch waten. Wenn er bloß einen Stock hätte, mit dem er die Tiefe des Schlamms ausloten oder sich die Viecher vom Hals halten könnte.
Das Wasser wurde noch tiefer und hatte schnell seinen Brustkorb erreicht. Ondragon hielt inne und stellte sich die Frage: Umkehren oder weitergehen? Er biss sich auf die Lippen und horchte auf Geräusche. Und tatsächlich hörte er ein Platschen. Direkt hinter sich!
Geh weiter! Wenn dort eine von den hungrigen Riesenechsen lauert, dann bleibt dir nur die Flucht nach vorn!
Er streckte die Arme aus und ruderte damit im Wasser, was sein Fortkommen etwas erleichterte, aber viel Lärm verursachte. Damit würde er die Raubtiere ganz bestimmt anlocken.
Plötzlich verlor er den Grund unter den Füßen und tauchte unter. Prustend kam er wieder an die Oberfläche und hektisch traten seine Beine im dunklen Wasser, fanden aber keinen Grund. Panik erfasste ihn, während er sich in der flüssigen Schwärze umsah. Keine Chance, auch nur den Schwanz einer Bisamratte zu erkennen, keine Aussicht, auf rettenden festen Boden zu stoßen! Ondragon wusste, dass ihm nun nichts anderes mehr übrigblieb. Er holte Luft, legte sich nach vorn und begann zu schwimmen. Nach zehn Zügen kam noch immer nichts. Auch nach zwanzig spürte er nur freies Wasser um sich herum. Es schwappte in seinen Mund und schmeckte leicht salzig. Brackwasser, das tröstete ihn auf der einen Seite, denn
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