One: Die einzige Chance (German Edition)
ein bedingungsloses Grundeinkommen, das ihm sein Überleben sicherte. Oberstes Staatsziel waren glückliche Menschen. Als ob dann noch jemand freiwillig arbeiten würde, schoss es Samuel durch den Kopf.
Kyoti ließ sich durch seine Frage nicht aus der Ruhe bringen. »Alle Suchmaschinen dieser Welt arbeiten auf der Basis von Algorithmen. Diese Gleichungen sind nichts weiter als Kochrezepte, nur dass sie nicht mit vagen Aussagen wie ›eine Prise Salz‹ klarkommen, sondern exakte Zahlen brauchen, um zu einem gesicherten Ergebnis zu kommen. Aber Rezepte kann man verfeinern, dem eigenen Geschmack anpassen und dadurch etwas Wohlschmeckendes kreieren, an dem keiner beim Fressen erstickt. Und das tun wir. Wir arbeiten an einem Kochbuch für jedermann. Wir haben sämtliche Rechner von Großbanken und auch die der mächtigen Suchmaschinen angezapft. Von innen heraus. Es gibt kein Unternehmen ohne Feinde oder Kritiker. Man muss sie nur aufspüren und ihnen klarmachen, dass sie einen Teil dazu beitragen können, aus dieser Welt einen besseren Ort zu machen. Die Menschen selbst sind unsere Waffen.«
»Es gibt also keinen mehr, der etwas verdient, oder wie?« Der Typ ist ja wahnsinnig, dachte Samuel.
»Doch, natürlich. Wir wollen nur Spekulationen unterbinden und den Handel regulieren. Natürlich werden die großen Fondsgesellschaften und Banken durch unser Eingreifen empfindlich getroffen. Aber keine von ihnen ist systemrelevant , wie die Politiker behaupten. Angst ist der größte Gegner der Freiheit. Damit kann man die Menschen in Schach halten.«
»Aber wenn die Banken pleitegehen, gehen doch auch die Menschen pleite«, widersprach Samuel, obwohl es nur ein Satz war, den er irgendwann mal in den Nachrichten aufgeschnappt hatte.
»Wer sagt das? Und vor allem, was heißt pleitegehen? Nahrungsknappheit, unbezahlbarer Wohnraum, schlechte Gesundheitsversorgung. Für einen Großteil der Bevölkerung ist das doch längst Realität. Wohlstand für alle gibt’s nur noch in Kinderliedern.«
»Vielleicht hast du recht«, lenkte Samuel ein. Vielleicht bildete er sich das auch nur ein, aber er hatte den Eindruck, dass Fabienne über seine Unwissenheit innerlich den Kopf schüttelte. »Ich hab von so was keine Ahnung«, gestand er dennoch mit einem Schulterzucken. Morgen würde er bei seinem Onkel sein und dann zur Polizei gehen und die Sache mit dem Mord aufklären. Fabienne würde er wahrscheinlich das nächste Mal in den Nachrichten sehen, wenn sie zusammen mit ihrem Freund in Handschellen abgeführt wurde. Also musste er nicht weiterhin den Interessierten markieren. »Aber wenn es so ist, dann ist es doch super, dass es Leute wie euch gibt, die etwas dagegen tun wollen. Gratulation.«
»Findest du?«, fragte Kyoti mit einem kalten Lächeln.
»Ja, das finde ich.«
»Das ist gut, richtig gut.« Kyoti boxte ihn gegen die Schulter. Samuel wich zurück. Nicht weil der Schlag wehgetan hatte, sondern weil er große Lust verspürte, diesem arroganten Typen eine reinzuhauen. Fabienne tauschte Blicke mit Kyoti. Sie schien zu spüren, dass die Stimmung kurz davorstand zu kippen. Als sei sie der Ringrichter in einem Boxkampf, drängte sie sich zwischen die beiden und redete weiter. »Erträge von Unternehmen, Banken und Privatleuten, deren Herkunft uns nicht gefällt, lassen wir einfach verschwinden. Unsere Bad Bank ist ein schwarzes Loch, das schmutziges Geld wie ein riesiger Magnet anzieht und vernichtet. Dazu genügt ein Knopfdruck. Das ist kinderleicht.«
»Und woher habt ihr die Kohle für das alles hier? Geklaut? Durch Aktiengeschäfte?«
»Nein«, sagte Kyoti mit dem Tonfall, in dem Eltern mit ihren Kindern reden, wenn sie ihnen etwas erklären, für das sie noch zu jung sind. »Natürlich nicht. Crowdfunding. Wir haben bei unseren Spielern gesammelt. Für den Showdown. Für den Neubeginn. Für ein Europa, in dem keiner seine Heimat verlassen muss, um zu überleben. Und die Einnahmen haben unsere Erwartungen übertroffen. Selbst aus den ärmeren Ländern kommen Spenden. Ob ein Cent oder eine Million spielt für uns keine Rolle.« Kyoti redete weiter. Er zeigte auf Grafiken und Schaubilder und dozierte in selbstverliebter Manier über den Plan, den sie die letzten Jahre ausgearbeitet hatten. Samuel kam zu den ausufernden Schilderungen nur ein Wort in den Sinn: Größenwahn. Ja, diese Typen litten unter Größenwahn der besonders schlimmen Sorte. Anders konnte er sich nicht erklären, warum sie sich einbildeten, mit ein paar
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