One: Die einzige Chance (German Edition)
irgendetwas auf Englisch, das vermutlich mit der neuen Grafik zu tun hatte, die verschiedene Kurvendiagramme zeigte und sich alle paar Sekunden aktualisierte. Fabienne presste die Kiefer zusammen. Kyoti zog seine Hand weg. Noch eine Sekunde länger und Fabienne hätte dem Mädchen wahrscheinlich die Augen ausgekratzt.
»Hochfrequenzhandel«, erklärte Kyoti. »Computer schließen Wetten ab. Sie gewinnen und verlieren, lassen Preise steigen oder sinken, alles innerhalb von Millisekunden. Kaum ist das Geld da, ist es auch schon wieder weg. Je nach den Vorgaben der Anleger wird gekauft und verkauft. Leider sind alle Programme darauf ausgelegt, am Ende des Tages Gewinne abzuwerfen. Egal, wer später die Rechnung bezahlen muss. Egal, ob mit Arbeitsplätzen oder Menschenleben spekuliert wird. Das interessiert weder den Rechner noch die Leute, in deren Auftrag das Programm sogar auf Kuhscheiße wettet, wenn es die Vorschriften verlangen. Das können wir nicht länger dulden. Also haben wir spezielle Programme gestreut, die uns dabei helfen, das System zu manipulieren und auf jede Transaktion eine Steuer zu erheben, die dorthin umgeleitet wird, wo Unternehmen ins Straucheln geraten. Den Verlust bemerkt der Computer erst, wenn es zu spät ist.« Sein Mundwinkel verzog sich zu einem überlegenen Grinsen und Samuel musste an den Börsencrash denken, von dem der Taxifahrer erzählt hatte. Ob diese Organisation dahintersteckte? »Vor allem wollen wir wieder zu einem vernünftigen Maß an Gewinndenken kommen«, fuhr Kyoti fort. »Nach klaren Leitlinien, die den Unternehmen genügend Zeit lassen, längerfristig zu planen.« Er hielt kurz inne. »Die Leute, die uns helfen, kommen aus ganz Europa. Es wird ein intelligenter Umsturz werden. Dafür haben wir sechs Jahre geübt, um das Spiel in die Wirklichkeit zu übertragen.«
»Was für ein Spiel meinst du?«, fragte Samuel und ließ seinen Blick über die zahllosen Monitore streifen. »Ein Computerspiel?«
»Oh, hat dir Fabienne noch nichts davon erzählt?«
»Nein. Hätte sie das tun sollen?« Die Ironie in Samuels Stimme war nicht zu überhören. Fabienne wich seinem Blick aus. Sie schien selbst nicht so genau zu wissen, was ihr Freund mit seinen Erklärungen im Schilde führte.
»Die Basis für all das hier ist One. Ein Strategiespiel. Eine großartige Erfindung, die im Gegensatz zu andern Spielen das Zeug dazu hat, die Wirklichkeit zu revolutionieren.«
»Indem ihr eine Atombombe zündet?«, fragte Samuel zynisch.
»Indem wir die Karten neu mischen. Politik, Wirtschaft, das Bildungssystem. Wir wissen jetzt, dass es einen Weg gibt, mit der Ungerechtigkeit, dem Betrug und der Raffgier aufzuräumen. Die Unentschlossenheit und das Abwarten haben ein Ende.«
»Eure Leute sind also alles Zocker?«
»Nein. Spezialisten. Jeder auf seinem Gebiet. Das hier sind nur die Programmierer, die den elektronischen Feldzug überwachen. Schließlich ist es gar nicht so leicht, ein Spiel in die Wirklichkeit zu übertragen. Das hat vorher noch keiner versucht.«
Kayan legte wieder auf, bevor jemand ranging. Nein, er durfte jetzt nicht leichtsinnig werden. Nicht so kurz vor dem Ende seiner Karriere.
Die Waffe an der tschechischen Grenze abzuholen, würde ihn von seiner Route abbringen und Stunden kosten. Er musste weiter nach Berlin. Dort sollte er das nächste Mal zuschlagen. Mit dem Messer. Er hatte keine andere Wahl. Er war sich fast sicher, dass Gott die Sache mit der kaputten Pistole eingefädelt hatte. Gott höchstpersönlich nahm ihm sein Doppelspiel übel und wollte ihm ein Bein stellen. Beten und töten. Das konnte ER nicht akzeptieren. Als Kayan den Eingang zur Kirche betrat, eine Kerze für seine Familie anzündete und sich hinkniete, versetzte er sich in eine Art Trance. Wie ein Schauspieler vor der nächsten Rolle bereitete er sich darauf vor, Killer zu sein. Dazu musste er sich nur an eine Szene aus seiner Kindheit erinnern: den Moment, in dem man seinen Vater vor seinen Augen erschossen hatte. Das Aufklatschen des Körpers auf dem harten Küchenboden. Der Schrei seiner Mutter. Jetzt war er wieder Kayan. So nannte er sich für seine Auftraggeber, bevor sie ihm eine Nummer zuwiesen.
Zehn
Schönefeld | 25 Grad | Wolkenlos
»Gehören zu eurem Feldzug nicht auch Waffen?«, fragte Samuel, nachdem ihm Kyoti die Grundzüge ihres Spiels erklärt hatte. Im Prinzip ging es darum, das Zusammenleben der Menschen so zu organisieren, dass keiner vom anderen ausgebeutet wurde. Jeder bekam
Weitere Kostenlose Bücher