One Night Wonder
das Zuckerzeug auf meiner Zunge schmilzt.
Ich sehe noch, wie er zögert, eine halbe Sekunde und doch eine gefühlte Ewigkeit, und dann küsst er mich. Sein Mund liegt weich auf meinem. Als er anfängt, die Lippen zu bewegen, beginnt es in meinem Bauch zu kribbeln. Er schmeckt nach Zucker und Cola. Und er küsst wirklich gut. Wirklich, wirklich gut.
Ach manno, ich will nicht, dass es aufhört! Trotzdem weiche ich zurück und reiße meine Lippen von seinen los.
Ich sage: »Du bist ein blöder Arsch« und drehe mich um, um zu gehen.
»Lilly!«, ruft er hinter mir her. Ein paar Leute recken neugierig die Köpfe. Wenn er jetzt sagt: »Du wolltest es doch auch«, haue ich ihm aus Hilflosigkeit eine runter.
Stattdessen sage ich nur »Nein!« und gehe weiter.
Im Nu hat er mich eingeholt. Er versucht nicht, mich festzuhalten, er geht nur schweigend neben mir her. Ich reiße unwillig an meiner Zuckerwatte herum. Er soll etwas Blödes sagen, damit ich ihn doof finden kann!
Aber den Gefallen tut er mir nicht. Stattdessen lässt er seine Zuckerwatte in einen Mülleimer fallen. Ich trage meine wie eine Trophäe wütend vor mir her und laufe ziellos weiter, er immer direkt neben mir. Wir schieben uns an essenden Leuten vorbei, und irgendwann werden die Buden weniger. Ich laufe weiter und weiter. Weil ich weg will, und weil ich sauer bin. Auf ihn und auch auf mich. David sagt immer noch nichts. Als wir aus der Innenstadt raus sind, landen wir automatisch im Stadtpark. Hier ist der Boden gefroren, und auf vereinzelten Flächen liegt noch Schnee. Ich lasse mich nach dem strammen Marsch auf eine Parkbank fallen und gucke auf meine dreckigen Boots. David setzt sich neben mich. Meine Zuckerwatte erfriert langsam, habe ich das Gefühl.
»Ich werde mich nicht entschuldigen«, sagt er fest und guckt ins Leere. Er knetet seine nackten Hände durch, und die Gelenke knacken. Ich schnaufe empört.
»Warum bist du dann noch hinter mir hergelaufen?«
»Meinst du, ich lasse dich so alleine im Dunkeln herumspringen?«
»Ich bin schon groß, ich schaffe das!« Mein Ton ist bissiger als beabsichtigt. Er atmet tief ein und pustet dann eine weiße Wolke vor sich her.
»Sag mir, dass es dir nicht gefallen hat.«
Ich schaue trotzig geradeaus. Er rutscht näher und dreht meinen Oberkörper zu sich. »Sag es!«
»Lass mich.«
Er guckt schon wieder böse.
»Du hast gesagt, du hättest es verstanden!«
Er kommt mir ein bisschen ratlos vor. »Die Versuchung war zu groß«, sagt er dann.
»Du bist schuld, dass es jetzt so ist!«
David schüttelt resigniert den Kopf. »Muss denn immer jemand schuld sein?«
»Ja!«
»Warum?«
»Das ist eben so!«
»Und das ist jetzt dein Ernst?«
Ich seufze genervt. Mein Hintern wird kalt, ich will nach Hause.
Jetzt sage ich es ihm endgültig, das mit Lukas. Zuerst versuche ich noch, etwas Passendes zu formulieren, doch ich schaffe es auch im zweiten Anlauf nicht. Ich bin ein Feigling. Sein Blick ist so ratlos wie zuvor. Er hat die Finger ineinander verknotet, sie sind ganz blau und verfroren.
Und ich merke, dass ich es ihm unmöglich so einfach sagen kann. Weil es verletzend ist und weil ich selber oftmals härter denke, als ich fühle. Stattdessen umgreifen meine Handschuh-Hände seine Eisfinger.
»Hast du die anderen auch alle nicht geküsst?«
»Doch …«, sage ich kleinlaut.
»Aber?«
»Die habe ich nur einmal getroffen.«
»Ja und?«
»Wir haben uns jetzt schon öfter gesehen. Es ist schon so vertraut zwischen uns.«
»Und das findest du doof?«
»Ja.«
»Verstehe.«
»Nein, eben nicht.«
»Doch.« Sein Tonfall ist sarkastisch. »Ich mag dich, du magst mich. Geküsst haben wir uns, und im Bett waren wir auch schon. Wir verbringen gern Zeit miteinander, aber ganz offensichtlich ängstige ich dich zu Tode.«
»Lass das! Okay?«
»Lilly, echt mal! Wo ist dein Problem?«
Ich springe erbost auf. »Mein Problem ist, dass du dich nicht daran hältst, was wir besprochen haben!«
Schon ist er ebenfalls auf die Füße gesprungen. »Können wir das Thema Küssen nicht einfach vergessen?«
»Ja, gut!«, schnauze ich ihn an.
»Gut!«, schnauzt er zurück. Wir funkeln uns an.
»Bist du mit dem Auto da?« Ich nicke.
»Okay, ich bring dich hin.«
Ich laufe neben David her und denke an Lukas. Ob ich mich mit ihm genauso zoffen würde? Am Auto angekommen, krame ich umständlich nach meinem Schlüssel.
»Besser, wir sehen uns nicht mehr«, sage ich in meine Handtasche.
»Abgelehnt«, sagt er
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